Rostow am Don – Ростов-на-Дону

Kurz vor Taganrog auf einer Halbinsel fahre ich noch von der Hauptstraße runter. Ich möchte doch mal wieder ein Stück über die Dörfer fahren, und vielleicht komme ich auch noch ans Meer. Die Straße ist jedoch zu weit weg vom Meer und in sehr schlechtem Zustand. Außerdem geht sie bei weitem nicht so geradeaus wie es auf der Karte den Anschein hat. Daher kehre ich nach einigen Kilometern auf die Hauptstraße zurück. Das waren jetzt ungefähr 8 bis 10 km Umweg. Taganrog erreiche ich dann auch erst, als die erste Halbzeit schon lange angefangen hat. Zunächst frage ich mich ins Stadtzentrum durch. Dort finde ich jedoch keinen Biergarten mit Fernseher oder ähnlichem. Am Meer soll es viele Möglichkeiten geben, das Spiel zu sehen, also versuche ich mein Glück dort. Allerdings auch vergeblich. Ein Taxifahrer, den ich frage, will mich zurück in die Stadt schicken. Er zeigt mir auch gleich den kürzesten Weg. Es geht eine Treppe hoch, die ich dann mal von oben fotografiere, nachdem ich über eine Straße den Berg hochgefahren bin. Da wollte ich mein Rad mit Anhänger dann lieber doch nicht hochschleppen:

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г. Таганрог.

Taganrog.

 

 

 

 

 

 

OK, irgendwann muss ich annehmen, dass das Fußballspiel jetzt wohl vorbei ist und mache mich auf den Weg aus der Stadt in Richtung Rostow.

 

Noch in Taganrog komme ich an einer Bushaltestelle mit einer jungen Frau ins Gespräch. Sie will mich zu sich einladen. Ich bin aber etwas skeptisch, unter anderem, da sie Stress mit ihrem Mann hat, der wohl bei einer anderen pennt. In irgendwelche Auseinandersetzungen will ich ja lieber nicht mit reingezogen werden. Kurz darauf kommen Dima und sein Bruder Jenya (Женя) dazu. Dima kann etwas Englisch. Er übersetzt die Einladung nochmal, rät mir aber davon ab und lädt mich seinerseits ein. Diese Einladung nehme ich dann gerne an :-) .

Wir bleiben noch ein wenig auf. Im Fernseher läuft die Wiederholung des verpassten Spiels. In der Wohnung leben zur Zeit nur Dima, Jenya und ihr Hund Bublik. Die Eltern wohnen im Sommer auf der Datscha. Morgens beim Abschied schenkt Dima mir einen kleinen Kosaken:

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Подарок двух молодых мужчин, которые пригласили меня переночевать у них.

A gift from two young men who invited me to their home for the night.

 

 

 

 

 

 

 

 

14.06.2012 (Donnerstag)

Ich fahre gegen 08:30 los. Die beiden jungen Männer mussten mich wecken, da ich zwar den Wecker gestellt, aber hinter der Grenze die Uhren noch nicht umgestellt hatte. Es wird an diesem Tag extrem heiß. In Pyatichatki (Пятихатки) ist eine Gaststätte am Wegrand, in der ich mich erst mal ausruhe. In dieser Stadt soll es die besten Restaurants im Bezirk geben, hatten mir meine beiden Gastgeber heute Morgen gesagt. Und sie müssen es wissen, denn beide sind Köche. Noch wichtiger finde ich jetzt aber, dass der Laden eine Klimaanlage hat :-) . Das Essen ist wirklich gut. Ich bleibe viele Stunden dort, weil es mir draußen einfach zu heiß ist. Ich versuche Russisch zu lernen bin dafür aber nach den beiden kurzen vorangegangenen Nächten zu müde. Irgendwann wird es etwas langweilig, aber zum Weiterfahren ist es mir zu heiß. Ich denke öfter an Leo und hoffe, dass er früh losgefahren ist. Leo fährt nur bis zum frühen Nachmittag und arbeitet dann übers Internet vom Hotel aus.

Ich fahre erst gegen 18:30 Uhr weiter, auch wenn ich dann erst nachts in Rostow ankomme.

Auf dem Weg nach Rostow:

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По дороге в Ростов. 

On the way to Rostov.

 

 

 

 

 

 

Unterwegs halte ich an einer Tankstelle und hole mir was zu trinken und ein Eis. Während ich das Eis esse, komme ich mit einem Mitarbeiter der Tankstelle ins Gespräch. Schnell finden sich weitere Leute ein, die sich für mich und mein Rad interessieren. Die Woher-Wohin-Fragen muss ich bald nicht mehr selbst beantworten. Die Antworten werden quasi an die Neuankömmlinge weitergereicht. Einer möchte ein Foto von mir, dem Rad und sich selbst haben. Das bringt die anderen auf die Idee eben Dies auch zu wollen. Fotosession an der Tankstelle. Nach einiger Zeit  muss der Tankwart die Leute auffordern, ihre Autos doch von den Zapfsäulen wegzufahren… :-) .

 

Rostow

Wie zu erwarten, komme ich erst im Dunkeln in Rostow an. Am Stadtrand frage ich nach einem preiswerten Hotel. Es sind allerdings noch 13 km – 15 km bis zum Zentrum. Ich sehe am Stadtrand ein Hotel, aber da ich die Probleme mit dem Rad lösen möchte, will ich mir etwas nahe am Stadtzentrum suchen. Die Stadt macht keinen schönen Eindruck auf mich. Stundenlang fahre ich auf der Suche nach einem Hotel durch die Stadt und sehe eigentlich nur Asphalt, Beton und Mauern. Autos fahren viel zu schnell und starten an Ampeln gerne mit Kavaliersstart. Am Don sind ein paar Stände, an denen ich etwas esse und ein Bier trinke. Ein Hotel dass mir genannt wird ist schon länger geschlossen.

Zufällig entdecke ich an einem Gebäude ein Schild mit dem Wort Хостел (Hostel). Diesen Begriff habe ich auf Russisch noch nie gesehen. Fast wäre ich daran voreigefahren. Ich klingel mal. Könnte für ca. 40 Euro dort unterkommen. Für mein Fahrrad haben sie allerdings keinen Platz. Es mit auf das Zimmer zu nehmen erlauben sie auch nicht. Während ca. 100 Meter weiter Jugendlich gerade Bauzäune umtreten, empfiehlt mir die Frau des Hostels, mein Rad an eben so einem Zaun vorm Hostel anzuschließen. Ich suche dann lieber weiter. Dem Tipp eines Taxifahrers folgend, finde ich ein Hotel, scheitere dort aber am fehlenden Russischen Pass: Nur für Russen.

Es wird hell bis ich endlich was gefunden habe. Für mich recht teuer, aber für zwei Nächte quartiere ich mich dort zunächst ein. Mein Fahrrad kann auf den Parkplatz hinter dem Hotel abstellen, der ummauert und mit einem Tor gesichert ist. Kostet mich aber auch acht Euro pro Nacht. Und außerdem soll ich mein Rad morgens um 5 abholen, oder für zwei Tage zahlen.

Die Aufzugtür des Hotels schließt ungewöhnlich schnell. Etwas in die Lichtschranke zu stellen gelingt auch nicht. Während ich mich abmühe meine Sachen in den kleinen Aufzug zu bekommen, stehen mehre Angestellte daneben und schauen zu. Schade, dass ich nicht besser Russisch kann. Einer der Gaffer könnte wenigstens seinen Fuß in die Tür setzen. Kaum komme ich im Zimmer an, klingelt das Telefon dort. Ich soll mein Fahrrad auf den Parkplatz bringen. Ja glauben die, ich lasse es draußen stehen, nachdem ich gerade ein Vermögen für den Parkplatz bezahlt habe? Es stand nun wirklich niemandem im Weg.

 

15.06.2012 (Freitag)

Vormittags schlafe ich erst mal, stehe aber mittags auf, um mich um mein Rad zu kümmern.

Zunächst kaufe ich einen Stadtplan und suche dann in einem Wifi-Cafe Fahrradgeschäfte.

„100 %-Sport“ ist nicht weit weg. Passende Speichen und Felgen haben sie nicht. Auch die Umrüstung auf eine Kettenschaltung wäre schwierig. Sie lässt sich ohne weiteres nicht an meinem Rad anbringen. Ich war schon davon ausgegangen, dass es nicht ohne Schweißarbeiten geht. Aber das ist hier nicht machbar, Der Mechaniker Jura nennt mir ein anderes Geschäft in dem ich Erfolg haben könnte. Auf meine Frage nach einer preiswerten Unterkunft oder Zeltmöglichkeit, empfiehlt er mir, an einer nahegelegenen Sportanlage zu fragen, ob ich dort zelten darf.

Per sms schlägt Leo vor, dass wir uns abends um 21 Uhr treffen. Ich bin froh über die späte Uhrzeit, um mich bis dahin um mein Rad zu kümmern. Die Radprobleme kann ich heute nicht lösen. Am Abend treffe ich mich dann mit Leo. Für mich ist es schön mal wieder Deutsch zu sprechen. Leo kommt zwar aus Österreich und lebt in München, spricht aber gut Deutsch ;-) .

Auch in Rostow gibt es Leute, die Gullideckel sammeln. Wenn man da mal nicht die Augen aufhat, könnte so eine Reise ein ganz schöner Reinfall werden:

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Внимание! Осторожно!

Be careful.

 

 

 

 

 

 

16.06.2012 (Samstag)

Morgens frühstücke ich im Hotel und packe dann meine Sachen. Ich fahre zum Hotel in dem Leo wohnt. Wir wollen nun die Hinterräder tauschen. Meins kann er dann in Deutschland aufbereiten lassen. Wir bleiben dann entweder bei dem Tausch, oder tauschen sie in meiner Winterpause wieder zurück. Durch das verschiedene Baujahr unterscheidet sich ein Teil der Befestigung der Rohloffnabe. Die müssen wir abschrauben, bekommen aber eine von fünf  Torx-Schrauben an seinem Rad nicht los. Außerdem muss ein überstehendes Teil meines Gepäckträgers abgesägt werden um es passend zu machen. Daher fahren wir zu 100 %-Sport. Das Sägen ist schnell erledigt, aber die Schraube bekommen wir auch mit professioneller Unterstützung und gutem Werkzeug nicht los.

Leo muss jetzt zum Hotel zurück und dann zum Flughafen. Ich fahre noch zu dem Radgeschäft, das Jura mir empfohlen hatte. Dort finden wir aber auch keine Lösung. Danach besorge ich mir eine russische sim-Karte für mein Handy. Auch hier müssen alle möglichen Daten dafür erfasst werden. Es geht nur mit Reisepass, wie in Weißrussland. In der Ukraine bekommt man eine sim-Karte in einer Minute am Straßenrand. Hier ist es eine langwierige Prozedur. Dabei fällt mir ein, dass ich kurz vor der Grenze zwischen der Ukraine und Russland Werbeschilder gesehen hatte für ukrainische sim-Karten, die auch in Russland funktionieren. Ausdrücklich ohne Ausweis erhältlich.

Der Verkehr in Rostow ist katastrophal. Mehrmals werde ich fast überfahren. Die Autofahrer sind in der Stadt keine Radfahrer gewohnt. Es gibt nur Mountainbiker, die außerhalb der Stadt Sport treiben. Es ist auch nirgends ein Fahrrad abgestellt, was mich immer etwas nervös macht, wenn ich meins vor einem Geschäft oder Cafe stehen lasse.

Danach bin ich wieder im Internet-Cafe, um emails zu checken und nach Lösungsmöglichkeiten für das Speichenproblem zu suchen. Ein deutscher Student (Hannes) sieht mein gepacktes Rad vor dem Cafe und kommt rein. Wir unterhalten uns eine Zeitlang. Er sagt mir auch, wo ich DHL finde, falls ich mir ein neues Fahrrad kaufe und mein altes nach Deutschland zurückschicken will. Wir tauschen noch Handynummern aus und wollen uns vielleicht nochmal treffen.

Abends wird es Zeit mir den Platz an der Sportanlage anzuschauen, den Jura mir empfohlen hatte. Dort gibt es wohl auch eine Security, so dass es ein sehr sicherer Platz sein soll.

Aus fahrenden Autos heraus werde ich immer wieder fotografiert. Leider gelingt es mir nicht, jemanden beim Fotografieren zu fotografieren, was eine typische Situation auf dieser Reise wäre:

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Люди часто фотографируют меня, которые проезжают на своих машинах. К сожалению, мне не удается фотографировать их когда они фотографируют меня. Такая фотография показала бы типичную ситуацию в этой поездке.

Often people who drive past in their cars take a photo of me. Unfortunately, I do not succeed in taking a photo of them while they are taking a photo of me. Such a photo would show a typical situation during this trip.

 

 

 

 

 

 

 

Die Straße führt über eine Brücke über den Don. Der Platz müsste auf der linken Seite sein. Bei dem Verkehr finde ich jedoch keine Möglichkeit die mehrspurige Straße zu überqueren. Nach einiger Zeit finde ich eine Unterführung und fahre dann auf der anderen Seite zurück. Dabei komme ich zum zweiten Mal an einem Kontrollposten vorbei und werde angehalten. Der Polizist interessiert sich nur für meine Reise. Einen Tipp, wo genau ich das Sportzentrum finde, kann er mir auch nicht geben. Ich hatte Jura so verstanden, dass dort Ruderer trainieren. Der See ist aber Kilometer lang. Einmal riskiere ich es mein Rad an der Straße stehen zu lassen und zu Fuß zum See zu gehen. Es ist aber nirgends ein Gebäude oder Ähnliches zu sehen.

Erst als ich den Weg ganz zurückgefahren bin, bis zum Anfang des Sees finde ich einen Zugang zu dem Gelände, den ich auch mit dem Fahrrad befahren kann. Nach etwas rumgucken und fragen komme ich mit jemandem von der Security ins Gespräch. Igor ist Rentner und arbeitet für zwei Monate hier. Er erlaubt mir, in einem Container, der als Umkleidekabine eingerichtet ist, zu schlafen. Dort gibt es sogar fließend Wasser und ein Waschbecken :-) . Er befindet sich direkt neben dem Raum, in dem der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes schläft.

Nachdem ich meine Sachen dort abgestellt habe, wird es Zeit mir mein Abendessen zu besorgen. Danach kehre ich zum Sportzentrum zurück.

Im Raum des Mitarbeiters steht ein kleiner Schwarz-Weiß-Fernseher. Wir sehen zu Dritt das Spiel Russland-Griechenland. Leider verliert Russland 0:1 und ist aus der Euro2012 draußen.

Blick auf den Don:

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Река Дон на Ростове.

The river Don in Rostov.

 

 

 

 

 

 

17.06.2012 (Sonntag)

(Da ich dieses Update meiner Seite erst mit großem zeitlichem Abstand schreibe, trifft es sich gut, dass ich am 17.06.2012 eine email geschrieben habe, die ich nun einfach hier reinkopiere. Es ist nämlich gar nicht so einfach, sich nach drei Wochen, oder so, an jeden Tag zu erinnern:

…………..
Ja, das nächste Update … Ich bin gespannt, ob ich diese Mail abschicken kann. Das Cafe mit WiFi, in dem ich gestern war, hat gestern um 18 Uhr geschlossen. Draußen steht 9 – 20 Uhr, jeden Tag. Heute hatten sie auch zu. Ich wollte eigentlich noch was im Internet recherchieren, wegen Fahrradteileversand und FeDex und dann meinen Eltern schreiben. Sie sollen morgen mal da anrufen und Fragen für mich klären. Ich habe am Samstag 1 EUR / Minute für Telefongespräche nach Deutschland gezahlt. Da will ich auf ner Hotline nicht 20 Minuten in der Warteschleife hängen. Ich seh’s ja kommen, wenn man nach 10 mal Verbinden den Richtigen an der Strippe hat, ist grad das Guthaben verbraucht. Also, dachte ich, ich schreib meinen Eltern alles und dann sollen die da anrufen.

Deswegen habe ich heute über 6 Stunden vergeblich nach einer Möglichkeit gesucht ins Internet zu kommen. Als ich aufgegeben habe, wollte ich zum Fahrradgeschäft, um zu schauen, was für ein Fahrrad ich hier bekommen könnte. (Das Radgeschäft ist auch sonntags bis 21 Uhr auf).

OK, auf dem Weg dahin habe ich zufällig ein Cafe mit WiFi gesehen, bin da rein. Und nun ist die Verbindung so langsam, dass sich kaum eine Seite öffnen lässt. x Versuche, um überhaupt an die Mails zu kommen, und dann drei Versuche, um Deine Mail zu öffnen.

Da dauert das mit dem Update wohl noch länger.

Also, ich check jetzt ab, ob ich es irgendwie schaffe, sehr schnell und trotzdem zu zumutbaren Kosten Teile herzubekommen, oder ob es besser ist ein neues Rad hier zu kaufen. Ein gebrauchtes werde ich wohl nicht bekommen. Ich habe hier bisher höchstens 10 Radfahrer gesehen.

Ich bin jetzt zwar eigentlich unfreiwillig in Rostow, nur wegen dem Rad, aber immerhin kann ich seit gestern kostenlos in so einer Umkleidekabine von einem Sportzentrum pennen. Da habe ich auch meine Sachen zur Zeit unter Verschluss. Gestern im WiFi-Cafe konnte ich wieder mein Rad nicht sehen, und ich hatte noch mein gesamtes Gepäck darauf. Das ist totaler Streß. Eigentlich lasse ich es nie unbeaufsichtigt. Stell Dir nur mal den organisatorischen Aufwand vor, wenn meine gesamte Ausrüstung wegkommt. Aber ich wollte halt mal schauen, was es z.B. mit FeDex kosten würde, die Teile schnell herzubringen.

Ich habe unterwegs jemanden kennen gelernt, der hat sich mal seinen Reisepass ins Ausland nachschicken lassen. Morgens in München abgeschickt, abends (wenn ich mich recht erinnere) kurz vor Kaliningrad. Kostete 400 Euro.

Im Radgeschäft meinen sie, für 600 Euro würde ich hier ein gutes Rad bekommen, mit dem ich meine Tour machen kann.

Ach so, hatte ich noch nicht geschrieben: Ich war hier die ersten 2 Nächte im Hotel, um mich um die Fahrradsachen zu kümmern. 16 Euro hat es allein gekostet, mein Fahrrad dort abstellen zu dürfen.

Bei der online-Seite von FedEx hatte ich Pech. Wegen irgendeinem Fehler konnten sie zu ihrem Bedauern am Wochenende die voraussichtlichen Versandzeiten nicht anzeigen, von denen aber wiederrum der Preis abhängt.

Der Typ, mit dem Pass ist übrigens echt nett. Er ist mit demselben Fahrrad unterwegs wie ich. Seins ist nur ein paar Jahre älter und er benutzt es nur im Sommerurlaub. Da er bisher nur einen Rahmenbruch hatte, aber keine Probleme mit den Speichen, hat er mir angeboten die Hinterräder zu tauschen. Er wäre dann mit meinem zurückgeflogen und ich mit seinem weitergefahren.

Zunächst wollte ich das nicht, weil ich befürchtet habe, dieselben Probleme nochmal zu bekommen. Aber dann dachte ich, einen Versuch könnte ich riskieren. Da die Hinterräder bei unseren Rädern etwas anders befestigt sind, musste ich ein überstehendes Teil vom Gepäckträger absägen. Wir haben eine gute Fahrradwerkstatt gefunden und gesägt. Und dann mussten wir noch ein Teil tauschen, das mit Torx-Schrauben befestigt ist. (Weißt Du welchen Vorteil Torx-Schrauben haben? Ich habe mich das ehrlich gesagt schon öfter gefragt). Nun denn, die Werkstatt war gut ausgerüstet. Ich hatte wohl den passenden Schraubenschlüssel, aber nur so in Inbus-Form. Die hatten einen Schlüssel, den man auch gut anfassen konnte. Wir sind trotzdem daran gescheitert, dass es uns bei einer der Schrauben am älteren Fahrrad nicht gelungen ist, die Schraube aufzubekommen. Trotz vorher einsprühen usw. Sie saß fest wie geschweißt.

Nun denn, gestern hat nichts geklappt, und heute habe ich auch nichts erreicht. Mal schauen, wie es  morgen wird. Falls das Café in dem ich gestern war geöffnet hat, klappt es ja vielleicht mit einem Update. Aber nur, wenn ich nicht zu gefrustet bin. Ich will die Seite nicht nur nutzen um Frust abzubauen. Das, was ich neulich in Berdyansk geschrieben habe, muss ich nochmal überarbeiten. Ich konnte mir ein paar zynische Bemerkungen über xxxxxxxxxxxxxxx [den Fahrradhersteller] dann doch nicht verkneifen.

Was mir so vor 2 Wochen mal beim Radfahren durch den Kopf ging: Gibt es schon ein Buch zum Thema “Reise-Burn-Out”? Sonst schreib ich vielleicht mal eins ;-) .

Ach noch was Positives: Mit dem Wachmann von diesem Sportzentrum verstehe ich mich gut. Er hat einen kleinen SW-Fernseher. Und wenn ich es richtig sehe, spielt nachher Deutschland gegen Dänemark. Da geh ich gleich mal Bier kaufen.

(Dreimal habe ich jetzt versucht die Mail zu senden. Einen Versuch mache ich noch. Sonst kommt sie erst mal in den Ordner “Entwürfe”.)

………………………..

 

Auf dem Rückweg zum Sportzentrum fahre ich noch zu einem nahegelegenen Supermarkt, der aber schon geschlossen hat. Irgendwann finde ich ein paar Verkaufsstände. An einem gibt es gegrillte Hähnchen, an einem Brot und an einem anderen Getränke. Nachdem ich für mein Abendessen gesorgt habe, fahre ich endlich zu meiner Unterkunft zurück. Eigentlich würde ich lieber erst essen, aber es geht auf 23 Uhr zu, und mir fällt ein, dass der Wachmann womöglich mit dem Schlüssel zu meiner Kabine auf mich wartet, falls er kein Fußball schauen will. Tatsächlich wirkt er etwas müde und möchte das Spiel Deutschland-Dänemark nicht sehen. Nachdem Russland draußen ist, ist die EM hier nicht mehr so spannend. Er geht direkt schlafen. Ich setze mich mit meinem Essen raus, was nur geht, wenn man sich vorher mit Mückenschutz einreibt.

Ohne Auto in Rostow unterwegs zu sein, ist alles andere als einfach. Vier Stufen zum Zebrastreifen:

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Это невозможно для водителей инвалидной коляски. Также с велосипедом с прицепом это иногда трудно.

Impossible for wheel chair drivers. Also with a bicycle and trailer it is sometimes a challenge.

 

 

 

 

 

 

Behindertengerecht ist hier gar nichts.

Als ich noch mit meinem ganzen Gepäck unterwegs war, habe ich mein Fahrrad mal einen Bürgersteig entlang geschoben, der alle paar Meter eine Stufe hatte, weil es halt bergrunterging. Der Bürgersteig wurde dann immer schmaler. Danach kam nach vorne und rechts eine Treppe, die ich mit dem Rad nicht runter konnte. Links eine Wand. Wenden nicht möglich. Schon mal versucht, ein schwer bepacktes Fahrrad mit Anhänger rückwärts einen schmalen Weg bergauf zu schieben, der alle paar Meter eine Stufe hat? ;-) .

 

18.06.2012 (Montag)

Um 8:00 Uhr beginnt mein Arbeitstag. Ungewöhnlich früh für mich, aber ich will ja mit dem Fahrrad weiterkommen. Das WiFi-Café hat wieder geöffnet und ich recherchiere zunächst wegen den Lieferzeiten. Unter 2,5 Wochen Lieferzeit scheint nichts zu gehen.

Anschließend arbeite ich am Update meiner Internetseite. Wenigstens die Zeit bis Berdyansk bringe ich nun auf den aktuellen Stand.

Anschließend mache ich mich ohne Erfolg auf die Suche nach einem anderen Fahrrad. Ein Radgeschäft hat montags geschlossen. Ich gönne es den Mitarbeitern, da die Radgeschäfte ja auch sonntags bis spät abends geöffnet haben.

Unterwegs sehe ich zufällig das Geschäft „Кёльн“ („Köln“). Dort gibt es Kleidung aus Deutschland:

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В городе Кёльн я жил три года. Вывеска изображает Кёльнский собор. В магазине предложена одежда из Германии.

I had been living for three years in Cologne. This sign shows the Cologne Cathedral. The shop offers clothes from Germany.

 

 

 

 

 

 

 

 

Gestern hatte ich ein Werbeplakat von einem Radgeschäft gesehen. Dort will ich auch mal nach einem neuen Fahrrad schauen:

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Проблемы с велосипедом беспокоят меня. В Ростове я пытаюсь найти новый велосипед. Может я смогу найти в этом магазине? Я запутался.  Я не знал что значит «прокат» и долго не понимал почему человек в магазине не хотел продавать велосипед. Потом я понял значение слова «велопрокат» это значит  вы можете взять  в аренду определенный  велосипед.

The problems with my bicycle are nothing but annoying. In Rostov I try to find a new bicycle. Maybe this shop can help. (If you know Russian, don’t hesitate to laugh about my idea :-) ). At the shop I am confused. They don’t want to sell bicycles, they don’t repair them, and they don’t sell spare parts either. Eventually I find out that Veloprokat (велопрокат) means: Bicycles for rent :-)

 

Ich weiß, ich weiß: Wer Russisch kann schmunzelt schon. Alle anderen müssen warten, bis ich den Laden gefunden habe :-) . Aber mal ehrlich, sie heißen doch alle irgendwas mit Velo… .Velostreet, Veloprestige, und so. Warum sollte Veloprokat nicht auch ein Radgeschäft sein. Zumal bei dem Plakat.

OK, es muss an der Ecke Boulevard Sadovaya / Tschechow-Straße sein. Direkt an der Kreuzung finde ich es nicht, also fahre ich die erste Straße ein paar Meter rein. So eine Kreuzung hat ja zum Glück nur vier Richtungen. An der dritten sehe ich nebenbei ein weiteres Cafe mit Wifi, das sogar bis 6 Uhr morgens geöffnet hat. Die vierte Möglichkeit führt mich schließlich zu Veloprokat.

Sie haben sogar Fahrräder dort, aber irgendwie will man keins verkaufen. Reparieren wollen sie Fahrräder auch nicht. Was machen sie dann damit? Irgendwann komme ich auf die Idee nachzufragen, ob „Prokat“ ein russisches Wort ist. Dieses schlage ich dann im Wörterbuch nach.

Ah, OK, jetzt verstehe ich es auch: Veloprokat = Fahrradverleih :-) .

Mit einem geliehenen Rad möchte ich dann lieber doch nicht nach Usbekistan, und wer weiß wie weit noch.

Martin bei Veloprokat:

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Мартин у велопроката. 

Martin at „Veloprokat“.

 

 

 

 

 

 

Bei dem katastrophalen Verkehr in Rostow fahre ich nur mit Helm. Das ist nicht gut für die Frisur, erleichtert aber gegeben falls das Identifizieren.

Anschließend schaue ich mir das WiFi-Café an, welches ich auf dem Weg gesehen habe. Christine bedient. Ihr gefällt mein Akzent :-) . Das freut mich, meine ich doch, dass so manche Frau aus der Ukraine oder Russland einen schönen Akzent hat, wenn sie Deutsch spricht. Es geht also auch in der anderen Richtung.

Am Abend optimiere ich meine Unterkunft. Das Moskitonetz, über Rad und Anhänger gehängt, bildet einen kleinen Schonraum in dem es sich besser schlafen lässt:

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Охрана разрешила мне  спать в раздевалке спортивного центра. Здесь очень много комаров, но к счастью у меня есть противомоскитная сетка.

The security of a sport camp allows me to sleep in a changing room. There are many mosquitos but fortunately I have a mosquito net.

 

 

 

 

 

 

Die Wachleute sagen mir, dass ich mich nach 22 Uhr auf dem Gelände nicht mehr bewegen soll. Es ist ja ihre Aufgabe, dort dafür zu sorgen, dass dort abends keiner mehr rumläuft.

Ich will meine Gastgeber natürlich nicht in Schwierigkeiten bringen. Etwas schade ist es schon, denn an der Wolga ist abends noch Leben.

 

19.06.2012 (Dienstag)

Heute geht es wieder um das Fahrrad. Ich fahre jetzt zu Radgeschäften, die weiter außerhalb liegen. Dabei komme ich auch am Flughafen vorbei, zu dem Leo wohl musste. Er ist nicht sehr weit weg vom Stadtzentrum. Leo war sich nicht sicher, ob er sein Rad ins Taxi bekommt, oder vielleicht mit dem Rad zum Flughafen muss. Wie hast Du es denn nun eigentlich gemacht, Leo?

In einem Radgeschäft empfiehlt man mir längere Speichen zu nehmen und sie dreifach zu kreuzen. Ich weiß, dass Rohloff ausdrücklich schreibt, dass die Speichen zweimal gekreuzt werden müssen. Im Radgeschäft verstehen sie meine Bedenken nicht, weshalb ich eine Stunde warte bis bei Rohloff die Service-Hotline nach der Mittagspause wieder besetzt ist.

Es ist wie erwartet, Rohloff geht davon aus, dass eine solche Lösung nicht funktioniert. Dreifach kreuzen bedeutet auch, die Speichen an der Felge zwei Löcher weiter weg einzusetzen. Da würden sie extrem schräg stehen. Das Radgeschäft versucht noch mich davon zu überzeugen, und meint, der andere Radfahrer, der dasselbe Problem hatte, sei damit zufrieden gewesen. Ich glaube sofort, dass er zufrieden abgefahren ist, bezweifel aber, dass er auch zufrieden irgendwo angekommen ist.

Eine weitere Alternative wäre eine Shimano-Nabenschaltung. Die wäre hier zu bekommen und lässt sich vor Ort auch einbauen. Leider sehr teuer, und ich vermute schlechter als das was ich habe. Zumindest würde ich mich vorher im Internet über die andere Nabenschaltung informieren wollen. Für die Berge möchte ich auf meine leichten Gänge nicht verzichten.

Mein neues Zuhause: Die Umkleidekabinen am Sportzentrum:

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Раздевалка спортивного центра.

Changing room at the sport centre.

 

 

 

 

 

20.06.2012 (Mittwoch)

Und täglich grüßt das Murmeltier. Heute geht es ums Fahrrad.

Morgens kommt Jura mit einem Freund auf Mountainbikes zum Sportplatz. (Ob ich mit einem Mountainbike fahren könnte? Der Lowrider würde nicht passen).

Im Supermarkt kaufe ich unter anderem Klebeband. Damit klebe ich am Fahrrad überall den Herstellernamen ab. Das Rad wird von mir und anderen so oft fotografiert. Ich will den Namen nicht mehr auf den Bildern haben. Wozu dafür noch werben. Über das Internet erfahre ich, dass die Felge „Rigida Andra 30“, die ich bräuchte, zur Zeit nicht lieferbar ist. Sonst könnte der Lieferant sie nach eigenen Angaben in 2 – 5 Tagen nach Russland liefern.

Mobiles Büro. Mein Arbeitsplatz im Wifi-Cafe:

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«День сурка»

Каждый день я пытаюсь решить проблему с моим велосипедом. Ещё без успеха.

Где я могу достать запчасти для велосипеда?

Сколько времени это займёт чтобы достать их из Германии?

“Groundhog Day”

Every day I try to solve the problem with the bicycle. In vain so far.

Where can I get spare parts for my bicycle.

How long will it take to get them from Germany?

Der Mitarbeiter beim Radhersteller ist nicht im Haus. Daher frage ich per Mail, wie lange es dauern würde, deren Testfelge, von der sie ein Muster haben und die zumindest besser wäre als meine, nach Russland zu schicken. Ich möchte zwar eigentlich nicht der Testfahrer sein und den Freilandversuch noch auf eigenes Risiko machen, aber es könnte ja auch meine Reise retten.

Morgen werde ich weiter fahren, da ich hier keine vernünftige Lösung finde. Seit dem letzten Speichenbruch bin ich einige hundert Kilometer gefahren. Mal schauen, wie weit ich noch komme.

Anschließend fahre ich nochmal zu 100-%-Sport um mich bei Jura zu verabschieden. Er will morgen früh nochmal am Sportzentrum vorbeikommen.

Als ich dem Wachmann sage, dass ich morgen abreise, ist er erleichtert und meint, dass sie es mir auch nicht länger hätten erlauben können dort zu schlafen.

 

21.06.2012 (Donnerstag) Abfahrt aus Rostow

Morgens bade ich noch im See. Wer weiß, wann die  nächste Waschgelegenheit kommt :-) .

Dann suche ich auf der Karte den besten Weg raus.

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Покидая Ростов.

Я не смог решить проблемы. Я буду путешествовать как можно дальше и надеюсь что  решение проблемы найду позже.

Leaving Rostow.

I couldn’t solve the problems. I will travel as far as possible and hope to find a solution later.

 

 

 

 

Unterwegs kümmer ich mich noch um so Sachen wie Handyguthaben aufladen. Dabei sehe ich einen weiteren Deutschen, der schon sehr lange hier ist. Karl M.:

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Другой Немец: Карл М.

Another German: Karl M.

 

 

 

 

 

 

 

 

Nach ihm ist auch die Stadt Marks benannt, die sich, am linken Wolgaufer gelegen, nord-östlich von Engels befindet.

Am Stadtrand angekommen gibt es ein schweres Gewitter und ich verbringe einige Zeit in einem Schnellimbiss.

Ein Anruf beim Radhersteller geht wieder ins Leere. Der Mitarbeiter, den ich früher schon mal gesprochen hatte, ist im Gespräch. Ich bitte um Rückruf. Als der Regen aufhört warte ich noch einige Zeit auf einen Anruf, da es auf den stark befahrenen Straßen immer schwer zu telefonieren ist oder ich das Handy gar nicht klingeln höre. Es kommt jedoch kein Rückruf, und so mache ich mich am Spätnachmittag auf den Weg.

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Дождь.

Rain.

 

 

 

 

 

 

Ich fahre zunächst die Hauptverbindungsstraße M4 Richtung Moskau entlang. Hier ist sehr viel Verkehr, aber ich hoffe, dass es mit etwas Abstand von Rostow weniger wird. Und außerdem fahre ich ja nicht bis nach Moskau :-) .

Eine kleinere Straße, die ich von einer Brücke aus sehe, macht einen ganz guten Eindruck. Ich hoffe, ich finde nochmal Gelegenheit irgendwo über die Dörfer zu fahren.

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Недалеко от Ростова.

Near Rostov.

 

 

 

 

 

 

Abends finde ich eine gute Übernachtungsmöglichkeit neben der Hauptstraße an einer Reihe von Verkaufsständen. Hier wird vor allem Obst zum Verkauf angeboten. Zwei Verkäuferinnen bieten mir an in ihrem Raum zu schlafen anstatt zu zelten. Dort steht sogar ein Bett. Mein dünner Seidenschlafsack ist im Sommer warm genug, und ich habe in fremden Betten immer etwas Eigenes um mich herum :-) .  Ein paar Stunden sitze ich noch mit den Verkäuferinnen zusammen. Wir unterhalten uns, trinken Tee und essen zusammen.

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Две продавщицы предложили мне поспать в комнате за их ларьком.

Two of the vendors offered me a place to sleep in a room behind their sales booth.

 

 

 

 

 

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