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30.08.2012
In Kamyschin und Jekaterinburg hatte ich jeweils eine Registrierungsbescheinigung vom Hotel bekommen. Ausgerechnet aus Rostow habe ich das nicht. Dabei wird die erste, direkt nach der Einreise die wichtigste sein. Soweit ich mich erinnere, ist im letzten Urlaub immer nur ein weiterer Stempel auf die Migrationskarte gemacht worden. Wahrscheinlich habe ich deswegen in Rostow nicht nach einer extra Bescheinigung gefragt. Ich habe zwar alle entsprechenden Unterlagen beim Reisepass, schaue aber vorsichtshalber nochmal mein ganzes Gepäck durch. Nichts zu machen. Mal schauen, was bei der Ausreise passiert.
Der freundliche Mitarbeiter an der Grenze fragt mich nur schmunzelnd, ob ich eine Kalaschnikow im Anhänger habe und bittet mich die Tasche zu öffnen. Noch bevor ich sie offen habe, winkt er mich aber schon durch. Auch bei der Passkontrolle geht alles schnell. Sie wollen nur meinen Reisepass sehen. Nach weiteren Papieren werde ich nicht gefragt.
Nun also rein nach Kasachstan. Am Grenzposten schaue ich mir wahrscheinlich erstmals in Ruhe das Visum an. Ich hatte den Reisepass mit den Visa für Russland und Kasachstan erst kurz vor meiner Abreise bekommen und ihn dann direkt weiter geschickt, um auch noch das Usbekistanvisum zu bekommen. Den Pass mit dem Usbekistanvisum habe ich dann erst in Erlangen bekommen, als ich schon unterwegs war. Und jetzt bin ich ja doch etwas irritiert: Das Kasachstanvisum ist nur für einmalige Einreise. Das heißt, wenn ich nach Omsk in Russland weiterfahre, verfällt bei der Ausreise aus Kasachstan mein Visum. Ich könnte dann nicht mehr nach Kasachstan zurück, während gleichzeitig nach wenigen Tagen in Russland die 90 Tage erreicht sind, die ich innerhalb eines halben Jahres maximal dort bleiben darf. Damit ist es ausgeschlossen nach Omsk weiter zu fahren. Für den Moment bin ich ziemlich enttäuscht, werde mich aber sicher schnell damit abfinden. Ich wüsste nur gerne, ob ich selbst die Entscheidung für ein solches Visum getroffen habe, vielleicht wegen des Preises, oder ob irgendwo ein Fehler passiert ist. Ich war die ganze Zeit davon ausgegangen, dass ich mehrmals einreisen kann, also auch nochmal von Usbekistan aus, wenn ich mir in Kasachstan noch etwas anschauen möchte.
Immerhin gibt es an der Grenze auch eine gute Nachricht. Ich erkundige mich, wie das in Kasachstan mit der Registrierung läuft. Jemand der auch gerade ein- oder ausreist sagt, dass diese von den Hotels übernommen wird. Der Grenzmitarbeiter, der meinen Pass kontrolliert bestätigt dies.
Direkt hinter der Grenze tausche ich Geld. Wie heißt eigentlich die Währung in Kasachstan? Das muss ich direkt mal erfragen. Die Verständigung scheint etwas schwierig zu sein. „Geld“, sagt die freundliche Mitarbeiterin. – „Nein, ich meine, es gibt Dollar, Euro, Rubel, … Und hier?“ – „Geld.“ – „Hm“. Wie erkläre ich nun meine Frage? Während ich noch einer Lösung arbeite, hat die Mitarbeiterin der Wechselstube das Problem längst verstanden. Ich hatte mich verhört und Dengi (Geld) verstanden. Sie hatte aber „Tenge“ gesagt, und so heißt sie eben, die kasachische Währung. Für ungeübte Ohren klingen die beiden Wörter aber auch wirklich sehr ähnlich.
Bei 1:180 liegt der Wechselkurs. Das reicht nicht zum Millionärsdasein, wie letztes Jahr in Weißrussland, bei einem Kurs von 1:7000. Und wie schön war es in der Ukraine, wo ich leicht gerundet einfach alle Preise durch 10 teilen konnte. Alles durch 180 teilen. So eine Reise ist echt anstrengend. OK, geteilt durch 100, dann halbieren und anschließend plus 10 %. So sollte es zu schaffen sein.
Links geht es nach Progress (Fortschritt). Ich zeige mich weniger fortschrittlich und fahre geradeaus.
В г. Прогресс нужно сворачивать слева, но я менее прогрессивный и еду прямо.
To get to the town Progress you have turn left, but I am less progressive and go straight ahead.
Nach Petropawlowsk geht es nun nach Osten. Zunächst sieht es so aus, als hätte ich konstant Wind von rechts vorne. Aber bei meiner Grobplanung habe ich nicht berücksichtigt, dass die Straße zunächst 10 – 15 Kilometer fast nach Süden führt. Danach kommt der gleiche Wind eher von hinten. Mithilfe der regenerativen Energie wäre ich zügig nach Petropawlowsk durchgerollt, läge da nicht Peterfeld auf dem Weg.
В друг я увидел указатель «Петерфелдь». Немецкое звучание. Я хочу узнать, есть ли здесь Немцы.
Suddenly I saw the sign „Peterfeld“. Sounds German. I wonder if there are Germans living here.
Peterfeld?! … Klingt irgendwie Deutsch. Ob da Deutsche wohnen? Ich biege rechts von der Fernstraße ab. Nur wenige Meter sind es bis zum Ortseingang.
Один человек мне сказал, что там всё ещё живут Немцы и я их искал.
One man told me that are still some Germans living here and described the way to the house of one of them.
Dort teilt sich die Straße. Ich entscheide mich für links und komme direkt an einem moslemischen Friedhof vorbei. Hm, ich bezweifle, dass die Deutschen, die sich hier vielleicht mal angesiedelt haben, mehrheitlich Moslems waren. An den ersten Häusern erkundige ich mich, ob hier Deutsche wohnen. Ja, die Schwarz‘ wohnen hier. Geradeaus bis zum gelben Geschäft, dann nach rechts. Das gelbe Geschäft ist nicht zu übersehen.
Ich biege rechts ab, frage mich weiter durch und werde zunächst weiter geradeaus geschickt. Dann zurück und nach links. Am Krankenhaus sollen sie wohnen. Irgendwann komme ich an die Stelle am Ortseingang zurück. Bis dahin habe ich nur drei Deutsche gesehen: Zwei Audi und einen Mercedes. Ewig möchte ich hier nicht bleiben. Und ich möchte auch nicht, das die Schwarz‘ demnächst wochenlang von jedem im Dorf hören, ein schwer bepackter Radfahrer habe sich nach ihnen erkundigt. Einen letzten Versuch mache ich noch, weil gerade zwei Leute am Wegrand stehen. Es soll wohl noch weitere Deutsche hier geben, aber um die Schwarz‘ zu finden, solle ich am besten wieder zurück und mich in einem Geschäft erkundigen, an dem ich vorbei gefahren war. Dort ganz in der Nähe muss es sein. OK, im Geschäft wird man wahrscheinlich jeden im Dorf kennen. Also doch noch ein weiterer Versuch. Ich erfahre, dass ich die Straße bis zum Ende weiterradeln muss. Dort ist es das vorletzte Haus links. Das vorletzte Haus ist eindeutig zu identifizieren. Es gibt keine verfallenen Schuppen, bei denen man sich fragen müsste, ob sie zu den Häusern gerechnet werden müssen, oder nicht. Ich stelle mein Rad vorm Zaun ab und schaue mich um. Vom großen Hund, dem Gastfreundschaft fremd zu sein scheint, trennt mich zum Glück der Zaun. Es gibt leider kein Namensschild, keinen Briefkasten und keine Klingel. Eine Klingel braucht man bei dem Hund allerdings auch nicht. Es tut sich nichts. Keiner zu Hause. Ich gehe mal zu Fuß noch bis ans Ende der Straße. Nach links geht es noch weiter und dort stehen zwei Männer an einem Trecker. Um weniger erklären zu müssen, hole ich schnell mein Fahrrad und frage die beiden nochmal nach den Schwarz‘. Wir unterhalten uns kurz, dann zeigt mir einer der beiden den Weg. Er kommt ein Stück mit, zeigt dann in eine Straße. Bis zur Garage und da das Haus gegenüber. Sie wohnen wohl doch woanders. Dort scheint auch keiner zu Hause zu sein. Ich gehe nochmal an der anderen Seite ums Haus, und da ist dann zumindest jemand: Alex Schwarz :-).
Spontan kommen wir nicht so richtig miteinander ins Gespräch. Ich denke schon daran mich wieder zu verabschieden, als Alex‘ Nachbar uns zu sich einlädt. Er kommt aus Aserbaidschan. In Peterfeld leben Menschen verschiedener Religionen und Nationalitäten zusammen. Ein Ukrainer, der gegenüber wohnt kommt noch dazu und ein Bruder des Aserbaidschaners.
Von links: Alex‘ Nachbar, der Ukrainer, der Bruder des Nachbarn, Alex und vorne ich.
Справа: Алекс. Его предки прибыли из Германии.
On the right: Alex. His ancestors came from Germany.
So wie ich es verstehe und erlebe scheinen alle im Dorf gut miteinander auszukommen. Alex ist 50 Jahre alt und lebt mit seiner Frau Valentina hier. Seine Verwandten sind Anfang der 90er Jahre nach Deutschland gegangen.
Ich frage Alex, ob die Menschen in Peterfeld nach Nationalitäten getrennt heiraten. „Nein, auch untereinander“. „Aber wie kann man dann noch sagen, welcher Nationalität jemand angehört?“. – „Die Kinder haben die Nationalität des Vaters.“.
Später gehen Alex und ich zu ihm zurück. Er bietet mir an dort zu übernachten. Da es spät geworden ist, nehme ich das Angebot gerne an.
31.08.2012 (Freitag)
Das Haus von Alex und Valentina
Дом Алекса и его жены.
The house of Alex and his wife.
Nach dem Frühstück müssen Alex und Valentina zur Arbeit. Alex arbeitet an einer kleinen Tankstelle zu der ich noch radel. Er wird jetzt für die nächsten 24 Stunden hier seinen Job machen, dann hat er zwei Tage frei.
Алекс и Валентина.
Alex and Valentina.
Für den Weg nach Petropawlowsk lasse ich mir heute Zeit. Es sind nur wenige Kilometer. Wenn es nicht zu teuer wird, werde ich mindestens zwei Nächte im Hotel bleiben und einen freien Tag nutzen, um eine erste Stadt in Kasachstan kennen zu lernen. Auf jeden Fall bleibe ich eine Nacht, wegen der Registrierung.
In Petropawlowsk dauert es ziemlich lange, bis ich ein Hotel gefunden habe. Und dann übernehmen sie dummerweise die Registrierung nicht. Sie können mir nur sagen, wo ich hin muss, um mich selbst darum zu kümmern. Dann bleibt es mir wohl nicht erspart, es mal selber zu versuchen. Auf der Behörde ist noch bis 14:30 Uhr Mittagspause. Dann erfahre ich, dass ich für die Registrierung nach Kokschetau muss. Und zwar bis Montag. Das sind 2 Tage für 200 Kilometer. Den Straßenzustand kenne ich nicht, gebe aber zu bedenken, dass es bei Gegenwind mit dem Rad vielleicht nicht möglich ist bis Montag dort zu sein. Doch es nützt alles nichts. „Ist es ein Problem, wenn ich die Registrierung erst am Dienstag mache?“ – „Ja, das wird Probleme geben!“. Touristen scheinen sie hier nicht zu wollen. Kokschetau liegt für mich auf dem Weg, und sie glauben hier hoffentlich nicht, dass ich die 200 Kilometer dann nochmal zurück fahre. So richtig verstehe ich nicht, warum es hier nicht gehen soll. Einen Mann, der auch hier einen Behördengang zu erledigen hat, verstehe ich so, dass der Chef vom Büro nicht da ist und es deswegen nicht geht.
(Auf Russisch scheint die Stadt „Kokschetaw“ zu heißen. Die Rechtschreibkorrektur will sogar „Koktschetaw“ daraus machen, eine Schreibweise, die ich so aber noch nie gesehen habe.)
Ich werfe noch einen Blick in die Stadt, gönne mir Schaschlik und ein Bier. Heute ist wirklich schönes Wetter, nur recht windig und staubig. Es herrscht eine angenehme Atmosphäre in der Stadt. Breite Straßen, schöne Frauen. Die Menschen sind alle sehr freundlich. Schon auffällig freundlich und es wirkt nicht gespielt. Wirklich schön hier. Nur werde ich, mit dem Rad neben mir, wieder recht oft angesprochen, während ich versuche mir Notizen zu den letzten Tagen zu machen.
Einen Supermarkt finde ich auch noch, dort versorge ich mich mal für den weiteren Weg. Jetzt ist es immerhin ganz gut, dass ich das Zimmer im Hotel noch nicht genommen habe. Nichts ausgegeben, und ich erspare es mir, nur einmal kurz das ganze Gepäck ins Zimmer zu bringen und es dann wieder herauszuholen. Falls ich den ganzen Montag für die Bürokratie brauche, ist es besser Sonntagabend in Kokschetau anzukommen. Also mache ich mich mal gleich auf den Weg .
Fotos von Petropawlowsk habe ich keine, Dafür ging das jetzt alles zu schnell. Hier ein einziges vom Stadtrand, als ich weiter fahre:
Петропавловск.
Petropavlosk.
Eine große Digitalanzeige, zeigt um 17:55 Uhr noch 24 °C an. Es ist bewölkt und windig.
An einer Tankstelle wirbt ein Schild für eine Geldwechselstube. In Russland habe ich dafür nie eine Gelegenheit außerhalb von Banken gesehen. Ach ja, und eine SIM-Karte fürs Handy habe ich mir in Petropawlowsk auch noch gekauft, da ich für die Russische das Guthaben hier nicht aufladen kann. Ich lasse die russische Karte aber im Handy bis das vorhandene Guthaben abtelefoniert ist. Interessant ist, dass ich die Karte hier bekommen habe, ohne mich ausweisen zu müssen.
Ein paar Kilometer kann ich auf einer neuen Straße fahren, die noch nicht für den Verkehr frei gegeben ist. Da habe ich besten Asphalt ganz für mich, anstelle einer schlechten, staubigen Schotterpiste:
Это была новая дорога, которая была не задействована. И я ехал там один.
A new road, not released for traffic yet. I went there alone.
Abends kann ich vor einem Cafe auf der Veranda zelten. Gut, dass ich ein selbststehendes Zelt habe, sonst hätte ich die Heringe in den Holzboden nageln müssen .
Der Inhaber ist Aserbaidschaner. Ich verstehe ihn kaum, was ihn nicht davon abhält mir viel zu erzählen. Immerhin verstehe ich, dass er meint, ich sollte hier besser nicht mit Bart weiterreisen. Interessant. Das hatten die beiden Aserbaidschaner in Peterfeld auch gesagt. Mal schauen, spätestens, wenn ich in Usbekistan ankomme, werde ich mich ohnehin rasieren. Dort hoffe ich ja Arbeit zu finden, und so toll sieht mein „Bart“ nun wirklich nicht aus. Erinnert eher an die Bevölkerungsdichte in Kasachstan. Ziemlich dünn und an manchen Stellen ist gar nichts.
Bei diesem Aserbaidschaner hier, habe ich den Eindruck, dass er der erste ist, der sich persönlich daran stört. Die anderen beiden meinten wohl eher, es sei besser für mich.
Er besteht hartnäckig darauf, dass ich mich gleich morgen früh, noch hier an Ort und Stelle, rasiere. Daraus wird aber nichts, weil…
01.09.2012 (Samstag)
… ich heute sehr früh aufstehe. Das Cafe ist noch geschlossen, als ich mich auf den Weg mache.
Es weht starker Wind aus Süd-West. Ich komme nur langsam voran. Die Straße ist auf manchen Abschnitten extrem schlecht, aber ich kann wenigstens zeitweise wieder alleine auf einer neuen fahren, die noch im Bau ist.
Viel liegt hier nicht auf dem Weg. da wird es nun auch langsam wichtig immer rechtzeitig ausreichend Getränke zu kaufen. An einer kleinen Tankstelle bekomme ich preiswert Wasser.
Später trinke ich in einer Gaststätte Tee. Hier gibt es endlich mal wieder eine richtig große Tasse .
Der Wind ruiniert mir total die Frisur:
Ветер испортил всю мою причёску .
The wind ruins my the hairstyle .
Um sicher zu sein, dass ich morgen in Kokschetau ankomme, fahre ich bis spät in die Nacht und zelte dann auf einem Feld. Das war anstrengend heute. Den ganzen Tag unterwegs für 112 Kilometer.
02.09.2012 (Sonntag)
Mein Wecker steht auf 08:30 Uhr. Ich möchte früh in Kokschetau ankommen.
Um 8 Uhr werde ich jedoch schon wach, weil Regentropfen auf mein Zeltdach klopfen. Ich drehe mich nochmal um und stelle den Wecker später 2 Stunden weiter auf 10:30 Uhr. Wenigstens hat es jetzt aufgehört zu regnen. Nach dem Packen muss ich erst mal gründlich die Schuhsohlen reinigen. Unter den Schuhen klebt eine fast 1 cm dicke Schicht vom Feld, auf dem ich gezeltet habe. Damit käme ich noch nicht mal mehr in das Klicksystem auf den Pedalen rein, geschweige denn wieder raus. Es ist wichtig, dass sie ganz sauber sind, sonst kann es gefährlich werden, wenn ich bei Bedarf die Schuhe nicht schnell genug von den Pedalen lösen kann.
Bis ich wirklich abfahre ist es schon kurz nach 12 Uhr. Und jetzt weht ein sehr kräftiger Wind schräg von vorne.
Foto: Ein bisschen Abwechslung in der sonst sehr flachen Landschaft.
Nach einiger Zeit mache ich Frühstückspause, mangels besserer Gelegenheit neben der Straße auf einem nicht bestellten Ackerstreifen. Brot mit Butter und Marmelade. Die Butter ist weich, aber immerhin nicht flüssig . Kurz danach erschrecke ich mich, da ich von hinten angesprochen werde. Kein Ahnung, wo der Typ hergekommen ist. Hier war weit und breit niemand. Irgendwie passiert mir das oft: Ich denke, ich könnte ungestört Pause machen, aber dann wachsen die Leute wie Pilze aus dem Boden und vorbei ist es mit der Ruhe. Es ist einer von den Woher-Wohins. Dazu noch extrem ungepflegt, total dreckige Hände, und er besteht hartnäckig, penetrant darauf, dass er mir die Hand schütteln darf. Finde ich beim Essen zum … . Ich esse mein Marmeladenbrot nicht mit Besteck. Ich glaube, ich war da zu Beginn der Reise etwas toleranter, aber irgendwann möchte ich wieder mit halbwegs sauberen Händen essen. Während ich auf dem Boden sitze, steht er im Abstand von einem halben Pfund Butter vor mir und redet auf mich ein. Da ich ihn nicht verstehe, versucht er es mit Händen und Fußen, fordert ständig meine Aufmerksamkeit für seine wichtigen Anliegen. Ich habe nicht nur keine Lust ständig zu ihm aufzuschauen, er wirbelt mit den Füßen den losen Boden auf, und der Wind trägt die Erde direkt auf mein Essen. In kürzester Zeit ist alles voll Erde. Da ich ihn wohl nicht loswerde packe ich schnell die Butter ein, säubere den Deckel vom Marmeladenglas, während es von oben „Kuschit, kuschit!“ tönt: „Essen, essen!“. Ah so, ich soll mich nicht stören lassen. Wie man sich von ihm nicht stören lässt, weiß er wahrscheinlich nicht mal selbst. Und ich habe gerade keine Zeit im Lexikon nach zu schlagen, wie man auf Russisch sagt: „Sie schütten gerade den halben Acker auf mein Essen.“. Nachdem ich gepackt habe geht er weg. Dann versuche ich es nochmal mit dem Frühstück. Der Wind ist jetzt aber so stark, dass es auch ohne Nachhilfe zu stark staubt, um auf dem Boden sitzend zu essen. Dann packe ich meine Sachen mal wieder ein. Vielleicht findet sich später eine bessere Gelegenheit zum Essen. Der Typ geht zu einem Auto, das knapp einen Kilometer weit weg steht. Stimmt, da war ich vorhin dran vorbeigefahren. Da ist er den ganzen Weg gelaufen, nur weil er gesehen hat, dass ich hier Pause mache.
Der Wind nimmt extrem zu. So stark hatte ich ihn bisher wohl nur einmal. Soweit ich mich erinnere war das kurz vor Samara, als mich der Sturm fast von der Straße geschoben hat. Der Wind kommt von vorne rechts und entwickelt eine Kraft, dass Radfahren fast unmöglich wird. Die sehr gute, neue Straße hat einen Seitenstreifen, aber die Böen schieben mich zur Seite, dass der Streifen nicht ausreicht. Es gelingt mir nicht, auch nur halbwegs geradeaus zu fahren. Eigentlich würde ich bei dem Wetter nicht fahren, aber hier ist schlicht und ergreifend nichts, wo ich mich aufhalten könnte. Nur Steppe. Also kämpfe ich mich vorwärts.
Später setze ich mich neben einem Tankstellengebäude etwas in den Windschatten und esse. Leider liegt der Platz auch im Schatten und ohne Sonne wird es schnell kühl.
Etwas später setze ich mich noch in ein Wartehäuschen einer Bushaltestelle. Aber auch da fegt der Wind ganz ordentlich rein. Die Haltestelle scheint, wie die Straße hier, ganz neu zu sein.
Insgesamt brauche ich für die 36 Kilometer bis Kokschetau 7,5 Stunden. Wäre ich die Strecke letzte Nacht noch gefahren, hätte ich es in zwei Stunden geschafft. In Kasachstan soll es ja immer sehr windig sein. Umgeworfene Baustellenschilder geben mir jedoch Hoffnung, dass der Wind nicht immer so stark ist wie heute.
Был сильный ветер.
Strong wind.
Nun ja, die letzten Kilometer sind ganz interessant. Nach langem Nichts, stehen am Stadtrand 5- bis 9-stöckige, alte Wohnhäuser. Es geht praktisch übergangslos von der Steppe in die Stadt über.
г. Кокшетау.
Kokshetau.
Die Straßen in der Stadt sind breit. An den Ampeln tönt irgendetwas aus Lautsprechern, was ich aber leider nicht verstehe. Keine Musik, irgendwer sagt irgendwas. Ich frage mich zunächst Richtung Stadtzentrum durch. Dort spricht mich Aleksej, ein jüngerer Mountainbikefahrer an. Ich frage ihn nach einem Hotel, und wir fahren zusammen dorthin. Aleksej meint auch, dass der Wind heute ungewöhnlich stark ist. Andere Hotels kennt er nicht, und ich hatte auch vorher nichts in Erfahrung gebracht. Im Hotel übernehmen sie morgen die Registrierung für mich. Bin froh, dass mir das erspart bleibt. Der Preis ist auch gerade so noch OK. Während ich mein Gepäck reintrage komme ich mit zwei Männern ins Gespräch, die auch im Hotel wohnen und mir helfen meine Sachen in den vierten Stock zu bringen. Es gibt einen Aufzug, aber die Aufzugtüren schließen immer sehr schnell, ohne Lichtschranke, oder ähnlichem. Da ist die Hilfe schon sehr willkommen. Bei ähnlichen Aufzügen in anderen Städten, war es schon beschwerlich, das Gepäck in den Aufzug zu bekommen. Das Fahrrad kann ich an der Rezeption abstellen. Noch immer finde ich die besondere Freundlichkeit der Menschen hier beeindruckend.
Nach dem Duschen gehe ich sofort raus. Jetzt möchte ich was von der Stadt sehen.
Was mir sehr auffällt, ist, dass die meisten Menschen hier nicht mehr europäisch aussehen. Der „Grenzstein“ vor Jekaterinburg war ja aus meiner Sicht ohnehin recht willkürlich gesetzt. Aber hier habe ich nun wirklich das Gefühl, nicht mehr in Europa zu sein.
Straßen und Plätze sind hier großzügig angelegt.
В центре Кокшетау.
The centre of Kokshetau.
Auf einem großen, zentralen Platz läuft ein Open Air Konzert. Lange bleibe ich nicht draußen. Ich bin sehr müde. Gegen 22 Uhr gehe ich schlafen.
03.09.2012 (Montag)
Im Hotel gibt es nur Milchkaffee. Richtigen Kaffee gibt es hier ohnehin nicht, nur löslichen. Das war auch in Russland so. Hier haben sie aber nur die Mischung, die auch gleich Milchpulver enthält. Bevor ich in die Stadt gehe, frage ich an der Rezeption, ob sie für die Registrierung meinen Reisepass brauchen. Zu meiner Überraschung heißt es jetzt, dass sie die Registrierung nicht machen, und ich selbst damit zum UWD (früher OWIR) muss. Jetzt ist natürlich anderes Personal als gestern hier. Immerhin erreiche ich, dass sie mir das benötigte Formular ausfüllen und mitgeben.
Die zuständige Behörde muss ich einige Zeit suchen. Dort soll ich nun auch die zweite Seite des Formulars ausfüllen. *grummel*. Ich dachte, das würde die Behörde machen.
Jetzt heißt es: Aufpassen! Ich kann nicht alles lesen, was handschriftlich im Hotel eingetragen wurde und möchte daher auf keinen Fall, dass ich aufgrund eines Fehlers das gesamte Formular neu ausfüllen muss. Außerdem möchte ich ja auch Russisch lernen, lese alles genau durch, soweit ich es verstehe und lasse mir beim Ausfüllen Zeit. Einige Angaben werden doppelt verlangt. Von meinen drei Vornamen (Martin Karl Georg) wird oft der dritte als Vatersname, den ja alle Russen haben, eingetragen. Vielleicht, weil der Name Georg bekannter ist als Karl. Das wurde auch im Hotel so gemacht. Wäre also peinlich, wenn ich auf der anderen Seite nun einen anderen Namen verwende.
Die Mitarbeiterin der Behörde fragt mich, ob ich Probleme mit dem Ausfüllen habe. Ich sage ihr, dass ich nicht so gut Russisch kann, und sie nimmt mir die Arbeit ab. Dass ich keine Kopien vom Pass und Visum mitgebracht habe, ist auch kein Problem. Dann macht sie die Kopien eben selbst. Das entspricht so gar nicht dem, was ich bisher über das OWIR, die zuständige Behörde, gehört und gelesen habe. Ein Wermutstropfen bleibt: Sie behalten meine Migrationskarte dort, die man bei der Einreise bekommt und spätestens bei der Ausreise zwingend braucht. Ich soll sie morgen um drei Uhr nachmittags abholen. Wenn es auf der Behörde dann doch mal länger dauert, würde mein Rad mit Gepäck lange unbeaufsichtigt in einer Seitenstraße stehen. Ich muss also im Hotel klären, ob ich mein Gepäck solange dort lassen kann. Nicht verstanden habe ich, ob man die Migrationskarte am Folgetag abholen muss, oder am Abreisetag. In meinem Fall ist ja beides dasselbe. Ach ja, und da nun eingetragen ist, dass ich nur bis morgen in der Stadt bleibe, hätte ich den Spaß nochmal, wenn ich mich spontan entscheide, einen Tag länger zu bleiben. In Kamyschin und Jekaterinburg hatte ich den Aufenthalt jeweils verlängert, und die Änderung der Registrierung wurde in beiden Städten vom Hotel durchgeführt.
Nach dem Behördengang laufe ich zunächst mal durch die Stadt.
Von ein paar Kreuzungen und Straßen mache ich Fotos, damit ich später leichter zurückfinde:
Ein Kaffee wäre jetzt nicht schlecht. Es ist schon Nachmittag und ich habe heute noch nichts gegessen und getrunken. Langsam macht der Kreislauf Probleme, was mir sonst nicht passiert. Der Weg, den ich gewählt habe scheint eher aus der Stadt herauszuführen.
Auf dem Rückweg sehe ich ein Buchgeschäft, in dem ich einen Stadtplan bekomme.
Это книжный магазин, где я купил карту города.
A book shop, in which I bought a city map.
В магазине.
In the book shop.
Im Stadtplan sind noch vier weitere Hotels eingetragen. In einem hatte ich gestern Abend nach dem Zimmerpreis gefragt, es ist deutlich teurer als meins, scheint aber auch moderner zu sein. Die anderen schaue ich mir jetzt nicht an. Ich würde meinen Aufenthalt ohnehin nicht verlängern wollen, da ich anstatt einen freien Tage zu genießen, dann einmal mehr auf die Behörde müsste.
Ich wüsste zu gerne, ob die Daten zentral gespeichert werden. Wie in Russland und Weißrussland scheint es ja kein Problem zu sein, hier zu zelten. Wenn ich nun länger hier in Kokschetau bliebe ohne dies zu melden und mich in weiteren Städten einfach um nichts kümmere, merken die das an der Grenze überhaupt? Ich könnte ja behaupten, ich hätte gezeltet. Das würde nur „auffliegen“, wenn die Hotels ihre Gäste melden müssen, und die Daten bei der Ausreise an der Grenze vorliegen. Allzu viel riskieren möchte ich in diesem Zusammenhang lieber nicht. Die meisten Staaten reagieren wohl wenig tolerant, wenn Ausländer gegen Aufenthaltsbestimmungen verstoßen. Neben hohen Bußgeldern und viel Zeitaufwand fürchte ich vor allem, dass mir später eine erneute Einreise verweigert wird.
Einen Supermarkt habe ich noch nicht gefunden. Dafür gibt es ein Cafe, das mit WiFi wirbt. Das schaue ich mir mal an, vielleicht komme ich dann später nochmal mit dem Laptop her. Die Speisekarte gibt es auf Russisch und auf Englisch. Ich nehme die russische. Wie auch in den meisten Restaurants in Russland steht neben den Preisen auch das Gewicht der Speisen auf der Karte. Das ist nicht schlecht. Irgendwo hatte ich mal, anstelle der Pizza, die ich meinte bestellt zu haben, nur ein kleines Stück Pizza bekommen. Es lohnt sich also hinzuschauen. Als grober Richtwert bietet es sich an, alles was in Tenge mehr kostet, als es in Gramm wiegt als Luxus zu betrachten. Die Wahl fällt auf ein Baguette mit Salat, Ei und Tunfisch. 300 Gramm für 280 Tenge (1,55 Euro). Damit sollte sich die Zeit überbrücken lassen, bis ich einen Supermarkt oder entsprechendes gefunden habe. Im Cafe liegen auch Zeitschriften und Zeitungen aus. Ich verbringe einige Zeit damit ein GEO-Heft auf Russisch, so gut ich kann, zu lesen. Ich freue mich auf den Winter. Hoffentlich komme ich dann wieder öfter zum Lesen und Russisch lernen.
Auf der Rechnung steht neben einem Zuschlag für die Bedienung von 10 % ein höherer Preis als auf der Speisekarte. Den Zuschlag akzeptiere ich, auch wenn nichts davon auf der Karte stand. Vielleicht ist das hier ja üblich und jeder Kasache hätte das gewusst. Auf den Preis mache ich zumindest mal aufmerksam. Das hatte ich nun schon öfter und habe meistens nichts gesagt, da es nur um kleine Beträge geht. Aber irgendwann nervt es. Die Bedienung sagt, dass es ein Fehler auf der Speisekarte sei und holt zum Beweis eine nahezu identische Karte aus ihrer Schublade, auf der die wahren Preise stehen. Nun gut, wenn die Preise so variabel sind, müssen sie halt ausgehandelt werden . Diesmal diskutiere ich, bis ich Recht bekomme.
Als nächstes könnte ich den Preis für eine Fahrt mit dem Linienbus erfragen und dann versuchen, die angebotene Leistung für diesen Preis zu bekommen. Zum Beispiel bei dem Bus, den ich vor ein paar Minuten aus dem Cafe-Fenster heraus fotografiert habe:
Этот автобус раньше ездил в Германии. Этот знак обозначает дорогу в рынок Mehlbruch-Langenfeld и обратно. Как вы думаете, сколько займёт времени поездка в Mehlbruch-Langenfeld и обратно в Казахстан? .
This bus had been used in Germany before. The label shows still: “Mehlbruch-Langenfeld Market and back.” How long will this bus tour take, to Mehlbruch-Langenfeld and back to Kazakhstan? .
„Mehlbruch-Langenfeld, Markt und zurück.“ Wie lange man da wohl unterwegs ist?
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11.09.2012
An dieser Stelle muss ich das Hochladen leider beenden. Der Akku ist gleich leer, und im Cafe gibt steht keine Steckdose zur Verfügung.
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Update 11.10.2012
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Auf dem Stadtplan habe ich Werbung für ein Geschäft gesehen, das Bekleidung anbietet. Mein Hemd, das ich in einer Tüte unter die Spanngurte geklemmt hatte, um es bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit zu waschen, ist wohl den 27 Tomaten zum Opfer gefallen, die mir geschenkt wurden. Es gelingt mir ja nie nur einen Teil davon anzunehmen. Also habe ich Tomaten in einer großen Tüte so unter die Gurte geklemmt, das die Gurte nur die Tüte halten, ohne die Tomaten zu zerdrücken. Leider vergeblich. Auf den schlechten Straßen sind sie zermatscht, bevor ich eine Möglichkeit hatte sie zu waschen. Dafür habe ich nun wohl das Hemd verloren.
Auf den Märkten hier habe ich noch nichts Passendes gefunden, also mache ich mich mal auf den Weg zu dem Geschäft.
Es liegt am Stadtrand. Die Straßen über die ich jetzt gehe, sind bei weitem nicht so gut, wie im Stadtzentrum.
In dem Geschäft (auf dem Bild oben das rot-weiße Gebäude) gibt es nur Möbel auf zwei Etagen und Elektronikartikel im Erdgeschoß. USB-Sticks haben sie leider nur bis 8 GByte und die kosten über 20 Euro. Irgendwann brauche ich noch Platz für die Kopien meiner Fotos, aber zum Glück ist es nicht so dringend. Meine kleine Digitalkamera gibt es hier auch, etwa zu dem Preis, den ich in Deutschland Anfang April bezahlt habe. Aber einen Zweitakku bekomme ich auch hier nicht dafür. Ob sie ihn bestellen könnten frage ich nicht, da ich ja ohnehin nicht so lange bleibe.
Zurück Richtung Stadtzentrum gehe ich auf einem anderen Weg und halte nach Supermärkten und Kleidung Ausschau.
Oft befinden sich in Gebäuden viele kleine Geschäfte, also eher eine Art Markthalle. Man bekommt so ziemlich alles, nur kein Hemd oder T-Shirt in meiner Größe. Bekleidung scheint es für Frauen sehr viel mehr zu geben, als für Männer. Wahrscheinlich sieht man deswegen viel mehr schlecht gekleidete Männer, als Frauen. Es muss am Angebot liegen .
Универсальный магазин в Кокшетау.
A shop in Kokshetau.
Verschiedene kleine Geschäfte in Blechcontainern. Im Hintergrund Werbung für einen Second Hand Laden: „Wäsche nach Gewicht“.
Einen Second-Hand-Laden könnte ich gut in Usbekistan gebrauchen. Ich bin beim Verpacken der Sachen, die ich Deutschland gelassen habe davon ausgegangen, dass es unwirtschaftlich ist, Kleidung hin- und herzuschicken. Außerdem möchte ich nicht wochenlang auf ein Paket mit Mantel und Schuhen warten, wenn ich gerade bei Wintereinbruch Usbekistan erreiche. Daher habe ich auch nichts so verpackt, dass man es mir schnell zuschicken könnte. Gebrauchte Winterkleidung zu kaufen und sie im Frühjahr wieder zu verkaufen, ist wahrscheinlich optimal.
Einen Supermarkt finde ich dann auch noch und decke mich für heute und den Weg nach Astana ein.
Das Zimmer im Hotel kann ich morgen bis 18 Uhr haben . Dann kann ich meine Sachen dort lassen, bis ich die Migrationskarte abgeholt habe. Wenn ich das richtig sehe, ist hier nicht ein Check-In oder Check-Out jeweils um 12 Uhr mittags vorgesehen, sondern die Zimmer werden für 12 beziehungsweise 24 Stunden vermietet.
Abends gehe ich in ein Restaurant, in dem ich nur ein Bier trinke und an meiner Seite schreibe. Zunächst die letzte Zeit. Die Lücke muss ich später mal nachschreiben. WiFi gibt es hier nicht.
Der Wind ist immer noch sehr stark. Ich hoffe, dass ich nachts besser fahren kann und bleibe heute extra lange wach.
04.09.2012
Der Wecker steht auf 13 Uhr. Um 15 Uhr hole ich meine Migrationskarte ab. Es geht zum Glück sehr schnell. Anschließend kann ich mir etwas Zeit lassen. Es hat angefangen zu regnen, da habe ich es mit der Abfahrt nicht eilig.
Um 17 Uhr mache ich mich auf den Weg. Es fällt ein leichter Nieselregen, der wohl so schnell nicht aufhören wird. Mal mehr Mal weniger stark. Die meisten Leute sind ohne Regenschirm unterwegs. Man kommt noch ein paar Kilometer weit, ohne richtig nass zu werden, aber für die Tour ziehe ich mir das Regenzeug über.
Es muss eigenartig sein, hier zu wohnen. Es gibt zwar eigentlich alles, was man braucht, aber wenn man doch mal woanders hin möchte, sind es 200 Kilometer bis Petropawlowsk oder 300 bis Astana. So ein bisschen lebt man in diesen weit auseinanderliegenden Städten wohl, wie auf Inseln.
Die Stadt endet sehr plötzlich. An die Wohnhäuser schließen sich ein paar größere Firmen an, dann kommen noch ein Denkmal, ein großer moslemischer Friedhof auf der rechten Seite und ein christlicher auf der linken, danach hat einen die Steppe wieder.
Neben dem Denkmal steht ein kleiner Pavillon an dessen Geländer ich die kleine Kamera aufstellen kann. Sie ist wasserdicht bis 5 Meter tiefe, da sollte ihr der Regen nicht schaden. Wegen dem Wind befestige ich sie so, dass sie zumindest nicht herunterfallen kann. Ein Foto vom Denkmal und mir wird dann auch schwierig. Mal kippt die Kamera, dann wackelt sie so, dass das Foto unscharf wird. Einmal dreht sie sich etwas und stellt auf die Bank im Vordergrund scharf. Der Aufwand mit dem Stativ wäre mir jetzt etwas groß. Hände und Taschen sind nass, da bleibt das Material auch nicht trocken, wenn ich es jetzt auspacke.
Когда я уезжал из Кокшетау, был дождь.
When I left Kokshetau, it was raining.
Das vorhergehende Foto vom Denkmal habe ich damit bezahlt, anschließend meine Schuhe reinigen zu müssen. Mein Hoffnung sie würden sauber bleiben, wenn ich auf das Gestrüpp im Vordergrund trete, hat sich leider nicht erfüllt.
Die Autobahn ist neu und gut zu befahren, abgesehen von den Scherben auf dem Seitenstreifen. Kleinste Glassplitter gibt es reichlich. Bei dem dünnen Verkehr kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, dass sie von Unfällen kommen. Außerdem gibt es keine roten Scherben, nur weiße. Wasser habe ich bisher nur in Plastikflaschen gesehen. Ob die Scherben alle von Wodkaflaschen kommen? Späte sehe ich Scherben, die noch von den Etiketten zusammen gehalten werden. Es sind doch eher nicht-alkoholische Getränke.
Mir war schon aufgefallen, dass die Straßenränder hier viel sauberer sind als in Russland. Wenn ich mir die Menge an Scherben anschaue, ist es wohl der Wind, der den Plastikmüll davonweht. Ich frage mich, ob die Steppe groß genug ist, um den Müll jahrzehntelang „verschwinden“ zu lassen. Oder wird der Wind schon bald große Müllmengen übers Land hin- und herschieben? Dann dürfte es schwierig werden, ihn wieder einzusammeln.
Der Wind heute Nacht macht zwar nicht das Radfahren unmöglich, dafür wird es aber saukalt. Die alten Arbeitshandschuhe, die ich für die letzten kalten Tage im April mitgenommen hatte, habe ich vorausschauend doch nicht weggeworfen. Zu groß schien mir die Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwann einen Temperatursturz gibt, und ich gerade dann in einer Gegend bin, in der ich nichts Geeignetes bekomme. Vor der Stadt Shutschinsk kommt ein Cafe, in dem ich mich aufwärmen möchte. Leider liegt der Speisesaal weit im Inneren des Gebäudes. So weit möchte ich mich nicht von Rad und Gepäck entfernen. Außerdem scheint es eher ein sehr gehobenes Restaurant zu sein als ein Cafe. Es ist sehr sauber, ordentlich, ich traue mich mit den nassen, dreckigen Klamotten kaum über den Fußboden. Die Tische sind alle gedeckt, mit allem an Geschirr, Besteck und Gläsern, was man für ein 18-Gänge-Menü braucht. Das Woher-Wohin begleitet mich auch hier. Rausschmeißen will man mich offensichtlich nicht, aber mein Rad steht unbeaufsichtigt draußen, daher fahre ich lieber weiter. Nach der Kurzpause wird mir erst mal richtig kalt, und kurz vorm absoluten Nullpunkt ist dann auch noch der Reifen vom Anhänger platt. Klasse. Alles nass, alles kalt, windig, und jetzt auch noch flicken.
Zu meiner Überraschung ist mir nach der Reparatur nicht mehr kalt. Auch die Hände sind warm. Das muss ich mir merken: Wenn ich friere einfach ein Loch in den Reifen machen . Am Ende der Stadt gibt es eine weitere Raststätte, von der mich aber eine Mittelleitplanke trennt. Ich möchte nicht wieder alles rüber tragen und brauche eine halbe Stunde um die Raststätte zu erreichen. Es fährt nahezu kein Verkehr auf dieser Autobahn. Daher ist es praktisch egal, ob ich links oder rechts fahre. Das macht es zumindest etwas einfacher, einen Weg zur Raststätte zu finden.
Ach ja, kurz bevor die Mittelleitplanke anfing, war mir ein Polizeiwagen entgegen gekommen. Das Blaulicht hatten sie wahrscheinlich nur eingeschaltet, weil ein Rücklicht kaputt war. Jedenfalls schienen sie es nicht eilig zu haben, haben gewendet, und mir die üblichen Fragen gestellt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sagten, es sei verboten hier nachts Fahrrad zu fahren. Hoffentlich sind meine Russischkenntnisse noch lange so schlecht, dass ich glaubwürdig vermitteln kann, beim besten Willen nicht zu verstehen worum es geht. Irgendwann haben sie mir jedenfalls einen Wink gegeben, dass ich weiterfahren kann.
Die Mitarbeiterin der neuen, und sehr modernen Raststätte habe ich anscheinend aus dem Schlaf geholt. Es ist geöffnet, aber außer mir ist niemand hier. Ich bleibe etwas länger, weil es so kalt draußen ist. Die gute Frau ist bestimmt ziemlich froh, als ich endlich abreise .
Gegen 6 Uhr fängt es an hell zu werden, um 6:30 Uhr geht die Sonne auf. Ich beende die Etappe als ich, um kurz nach acht an einem Parkplatz, eine Möglichkeit finde, von der Straße zu kommen, ohne alles über die Leitplanke zu heben.
Die Bäume geben hoffentlich etwas Schutz vor dem Wind, der Abstand zur Straße sollte groß genug sein, um keinen Besuch zu bekommen und mittags, wenn ich aufstehe, steht das Zelt in der Sonne. So soll es sein. Trotz der vielen Kuhfladen hier, bekomme ich auch keinen Besuch von Kühen.
05.09.2012
Tagsüber weht wieder sehr starker Wind. Stark genug, um eine Brotscheibe davon zu schieben, was das Frühstücken etwas erschwert. Hätte ich vielleicht besser noch im Zelt gemacht. Der Wind kommt immer noch von Westen. Ich sollte vielleicht doch öfter auf die Karte schauen. Astana liegt gar nicht südlich von Kokschetau, sondern süd-östlich. So ungelegen kommt der Wind gar nicht.
Soweit ich mich beim Schreiben erinnere, verlief die Fahrt ohne besondere Ereignisse. Von 2 bis 4 Uhr nachts mache ich wegen der Kälte eine längere Pause in einem gemütlichen Cafe, mit netten Angestellten. Zwei Fahrer von einem LKW bieten mir an, mich mitzunehmen.
Irgendwann zeihe ich Plastiktüten über die Handschuhe, damit die Hände im Wind nicht so auskühlen. Größere Tüten, die ich offen lasse, damit sich keine Feuchtigkeit sammelt.
Es lohnt sich doch immer wieder mal nachts aufzubleiben, was mir ja leichter fällt als früh aufzustehen. Vor Sonnenaufgang sieht man sehr deutlich die Farben, wie bei einem Regenbogen am Horizont. Es ist schwer zu fotografieren, sah aber super-schön aus:
Рассвет со цветами радуги. Зуура думает что это похоже на космос, фантастика.
Sunrise with colours like a rainbow.
Einen schönen Platz zum Zelten finde ich diesmal etwas früher. Noch vor Sonnenaufgang in der Morgendämmerung, komme ich an einer Bushaltestelle an der Leitplanke vorbei und fahre etwa einen Kilometer weit, bis zu einer Baumreihe, in die Steppe. Hinter den Bäumen scheint eine Eisenbahnlinie zu liegen.
06.09.2012 (Donnerstag)
Beim Schlafengehen hatte ich mich noch warm eingepackt. Vormittags in der Sonne wird es schnell sehr warm. So bin ich nach drei Stunden schon wieder wach. Ich fühle mich fit und ausgeruht und mach mich mal gleich auf den Weg.
Ein Kilometer Abstand zur Straße scheint auszureichen um keinen Besuch zu bekommen. Jedenfalls, wenn das Zelt vor den Bäumen nicht so auffällt.
Da scheint jemand eine Panne zu haben, oder gehört der unvergessliche Ausblick zum Reiseprogramm?
Кажется что случилась авария, идёт починка. Но кажется что это часть туристической поездки. Вид из автобуса наверное незабываемый.
It looks like a breakdown, or is the unforgettable view part of the travel programme?
Auf der Autobahn ist es wieder recht ruhig. Zwischen Petropawlowsks und Kokschetau hatte ich mal 78 Fahrzeuge in 30 Minuten gezählt. Hier sind es in 15 Minuten 54, insgesamt in beide Fahrtrichtungen. Klar, zur Hauptstadt hin wird der Verkehr dichter .
Nach ziemlich genau 30 Tageskilometern geht ein kleiner Traum in Erfüllung. Während ich es im letzten Urlaub vier Mal geschafft hatte, mich für eine kurze Strecke an einen Trecker oder ein Baustellenfahrzeug zu hängen, hatte ich das Glück auf dieser Tour in fünf Monaten noch nicht.
Und jetzt kommt eine kleine Kolonne von landwirtschaftlichen Fahrzeugen mit Tempo 30 angefahren. 30 Kilometer weit kann ich mich teils ziehen lassen, teils fahre ich im Windschatten. (Auch das Ziehen lassen, strengt auf Dauer den Arm sehr an). Das Gelände ist nur scheinbar flach, es geht oft kaum spürbar hoch oder runter. Wenn es etwas bergab geht, rollt das Fahrrad locker im Windschatten mit und ich brauche nur selten zu treten, oder zu bremsen. Auch berghoch kann ich locker das Tempo im Windschatten mithalten. Was der Wind doch ausmacht …
Die Straße ist in bestem Zustand, es gibt kaum Verkehr, ein Begleitfahrzeug fährt voraus. Da ist mit abrupten Fahrmanövern nicht zu rechnen. Um mir die Zeit zu vertreiben filme und fotografiere ich etwas. Ja, und das Rauchen habe ich auch noch nicht aufgegeben. Im Windschatten stecke ich mir erstmals eine Zigarette bei Tempo 30 auf dem Fahrrad an.
Blick nach vorne:
Я держался за ручку этой лестницы машины и эта машина везла меня с собой целый час.
Slipstreaming and being pulled for one hour .
Blick nach hinten:
An der Leiter kann ich mich gut festhalten und gut nach vorne schauen. Das ist auf der rechten Seite wichtig, weil ganz selten mal faustgroße Steine auf dem Seitenstreifen liegen.
Ein paar Kilometer vor Astana kommen eine Tankstelle, eine Raststätte und ein Kontrollposten. Wegen dem Kontrollposten fahre ich nicht mehr im Windschatten. Vor allem möchte ich nicht, dass der Fahrer Ärger bekommt, wenn er einen Radfahrer hinter sich herzieht.
Die Kolonne muss anhalten, während ich durchgewunken werde. Schade, da habe keine Gelegenheit mich von den Fahrern zu verabschieden.
Danach kommt ein Autobahnkreuz, an dem es rechts noch 9 Kilometer bis nach Astana sein sollen. Auf einem Zufahrtsweg fahre ich zur Raststätte zurück, um vorsichtshalber nach dem Weg zu fragen. Dabei kann ich meine Helfer nochmal aus der Ferne sehen. Sie fahren nun ohne mich weiter, biegen am Kreuz aber ohnehin nach links ab.
Ich erfahre, dass ich besser geradeaus weiterfahre. Ich hatte das schon vermutet, da man nach vorne die Skyline von Astana schon sehen kann.
Die neue Raststätte mit Restaurant und Motel ist exakt genauso gebaut, wie die, an der ich neulich nachts war. Sie unterscheiden sich in nichts voneinander. Auch die Außenanlagen mit Spielplatz und beleuchtetem Springbrunnen sind identisch. Und noch etwas haben sie gemeinsam: Ich bin der einzige Gast. Für wen wurde all das gebaut? Dreispurige Autobahnen zuzüglich Standstreifen, fast ohne Autos, Raststätten ohne Gäste? Rechnet man mit mehr Verkehr durch steigenden Wohlstand? Bevölkerungswachstum? Transitverkehr? Radtouristen aus Deutschland? Oder ist Straßenbau in der Steppe einfach wirtschaftlich interessant?
Hinter dem Autobahnkreuz, auf dem Weg in die Stadt, ist die Straße nur noch einspurig.
Rechts liegt ein Cafe mit einem Biergarten draußen. Aus einem Fenster des Cafes entdeckt mich eine junge Frau. Sie sieht gut aus, lacht, scheint „Guckt mal schnell, guckt mal schnell!“ in den Raum zu rufen und rennt zu einem Fenster an der Seite, von dem aus sie den Straßenverlauf weiter sehen kann. Ich drehe mich noch mal um und winke. Sie winkt zurück. Schade, dass ich vor der neuen Ratsstätte so lange Pause gemacht habe. Jetzt möchte ich in Astana ankommen und mir eine Unterkunft suchen. (Die Preise in der Raststätte für Tee und Kaffee waren ungewöhnlich hoch, weshalb ich darauf verzichtet habe. Vielleicht auch ein Grund, dass dort niemand Rast macht. Ich hatte noch genügend eigene Verpflegung dabei und draußen konnte ich gut sitzen.).
Окраина Астаны.
In the outskirts of Astana, the capital of Kazakhstan.
An die kleineren Häuser schließen sich mehrstöckige an. Ich vermute letztere stammen aus der Sowjetzeit:
Irgendwann gehe ich davon aus, nicht mehr weit vom Stadtzentrum entfernt zu sein und fange an nach einer Unterkunft zu suchen. Die ersten Hotels, die ich sehe sind teuer und in keinem guten Zustand.
Eins der besseren Hotels scheint auch gleichzeitig das preiswerteste zu sein. Außerdem bieten sie WiFi. Ich fahre dorthin zurück, habe aber Pech. Das letzte freie Zimmer wird gerade vergeben.
Draußen laufen mir Alyona und ihr Freund über den Weg. Alyona spricht gut Englisch, auch ihr Freund kann deutlich besser Englisch, als ich Russisch.
Die beiden erkundigen sich noch telefonisch nach Unterkünften für mich. Der junge Mann, dessen Namen ich leider nicht mehr weiß, malt mir einen kleinen Stadtplan mit zwei Hotels. Außerdem erfahre ich, in welcher Gegend ich die besten Chancen habe etwas zu finden. Alyona gibt mir noch ihre Handynummer.
Kurz darauf komme ich an einem Hotel vorbei, die für den kleinesten Preis, den ich bis jetzt gesehen habe, Zimmer mit Dusche und Bad auf dem Flur anbieten. Das ist für mich OK.
Mein Fahrrad steht im Eingangsbereich, regelrecht im Schaufenster. Im Hotel meinen die Mitarbeiter, ich bräuchte das Rad nicht abzuschließen, was ich aber vorsichtshalber trotzdem mache. Ein Angestellter hilft mir das Gepäck auf’s Zimmer zu bringen.
Wegen der Registrierung empfiehlt man mir aber auch hier, selbst auf die Behörde zu gehen.
Гараж для велосипедов в гостинице.
Garage for my bicycle in the hotel.
07.09.2012 (Freitag)
Auf dem Weg zur Registrierung gehe ich noch in mehrere, auch gute Hotels. Keines kennt sich mit der Registrierung aus oder übernimmt sie gar. Ein Mitarbeiter eines Hotels bezweifelt, dass der Stempel aus Kokschetau wirklich vom UWD ist, der zuständigen Behörde, und prophezeit mir größte Schwierigkeiten, wegen der seiner Ansicht nach verspäteten Registrierung. Hoffentlich kennen sie sich an der Grenze bei meiner Ausreise besser damit aus. Es steht aber auch tatsächlich kein Datum dabei und die Schrift auf dem Stempel ist winzig. Eine weitere Bestätigung der Registrierung hatte ich in Kokschetau aber auch auf Nachfrage nicht bekommen. Dort fand man das so OK, wie es ist.
In einem Hotel bekomme ich kostenlos einen Ministadtplan, der für’s erste recht hilfreich ist, und erfahre, dass die Behörde bis 13 Uhr Mittagspause hat. Die Zeit nutze ich in einem Buchgeschäft, das auf dem Weg liegt. Irgendetwas auf Englisch über Astana gibt es nicht, auch auf Russisch nichts für die Reisetasche. Nur einen besseren Stadtplan bekomme ich und eine Broschüre aus dem Jahr 2009, in der die Raststätten entlang einiger der Fernstraßen angegeben sind. Das ist wichtig, weil ich damit rechnen muss, auf bis zu 150 km langen Abschnitten, gar nichts kaufen zu können.
Bei der Behörde habe ich Pech. Sie haben nicht bis 13 Uhr Pause, sondern ab 13 Uhr. Geöffnet wird wieder um 14:30 Uhr. Da schon jetzt Leute vor dem Eingang warten, bleibe ich. Tatsächlich wird es immer voller. Viele haben ausgefüllte Formulare und ihre Pässe in der Hand. Wie befürchtet nutzt es nichts weit vorne zu stehen, da die anderen schon wissen, wo sie hinmüssen, und dann doch wieder vor mir stehen.
Die meisten rennen zu einem kleinen Tisch, an den kurz darauf ein Beamter kommt. Jeder muss ihm sein Anliegen nennen. Dann bedient der Beamte ein Touchscreen und man bekommt eine Wartenummer ausgedruckt. Bei mir ist es die 319. Ein dreizeiliges Display an der Wand zeigt scheinbar willkürlich Nummern zwischen 100 und 700 an. Nach einiger Zeit erkenne ich, dass jeder Schalter seinen eigenen Nummernkreis hat. Die, die etwas kleinere Nummern haben als ich müssen alle an Schalter 8. Es dauert nicht sehr lange, bis ich an der Reihe bin. Ob ich mich hier nochmal registrieren lassen muss oder nicht, und ob ich mich bei jedem weiteren Stadtaufenthalt registrieren lassen muss, weiß die Mitarbeiterin am Schalter auch nicht. Nachdem sie mit einer Kollegin diskutiert hat, bittet sie mich, zu warten und geht weg. Kurz darauf bekomme ich von ihr die Auskunft, dass es für die Laufzeit meines Visums keiner weiteren Registrierung bedarf.
OK, das war nun die Auskunft der zuständigen Behörde in der Hauptstadt. Bleibt zu hoffen, dass es stimmt.
Ohne weitere Informationen über Astana laufe ich etwas ziellos durch die Stadt. Das „Museum des Ersten Präsidenten der Republik Kasachstan“ hat schon geschlossen. Ich fotografiere die Öffnungszeiten. Der Eintritt ist kostenlos.
Nebenbei halte ich nach Banken Ausschau, um Reisechecks einzulösen.
In der Stadt ist alles sehr gepflegt und sauber. Straßen und Plätze sind großzügig angelegt.
Abends gehe ich in das Restaurant des Hotels, in dem mir das letzte Zimmer vor der Nase weggeschnappt wurde. Dort habe ich die Möglichkeit ins Internet zu gehen.
Es läuft Musik vom Band und jemand mit Mikrophon singt dazu. Leider extrem laut. Ich suche mir den Platz, der am weitesten von den Boxen weg ist. Das Kennwort für den Internetzugang muss ich an der Rezeption des Hotels erfragen. Danach ist mein Platz besetzt. Unglaublich, was für laute Musik die Leute aushalten. Ich wünschte, ich hätte meine Ohrstöpsel mitgenommen. So beschränke ich mich darauf, so schnell wie möglich ein paar Informationen über Kasachstan und Astana auf dem Laptop zu speichern und gehe wieder.
Anschließend schaue ich mich noch in einem Supermarkt um, der 24 Stunden am Tag geöffnet hat. Es ist nicht so ganz leicht, etwas Passendes zum Essen zu finden, da ich auf meinem Zimmer keinen Kühlschrank habe. Außerdem stehen an vielen Waren die Preise nicht dran. Um den Preis zu erfahren muss ich mit allem zur Kasse. Das macht es nahezu unmöglich bei allen Waren die Preise zu vergleichen.
Butter gibt es hier sogar aus dem fernen Oldenburg:
Родное масло, но очень дорогое. Я только сфотографировал его в магазине.
Butter from Germany, but very expensive. I have only taken a photo of it.
Ist aber nicht ganz billig: 575/180 = ??? . Drei Euro noch was. Ich entscheide mich für preiswertere Butter, bei der ich leider vergesse auf das Haltbarkeitsdatum zu schauen. Sie ist über ein Jahr alt. Auf der Packung steht zwar eine Tabelle, wie lange die Butter bei welchen Minusgraden haltbar ist, aber ich darf wohl bezweifeln, dass die oben offene Kühltruhe die Butter bei konstant minus 25 Grad hält. Und sie sieht auch nicht so aus, als ob man sie noch essen könnte. (Die Butter meine ich, nicht die Kühltruhe (Anmerkung beim Korrekturlesen )). Ich nehme es an dieser Stelle schon mal vorweg: Später, als ich nochmal nach Butter schaue, stelle ich fest, dass sie keine Butter in der Truhe habe, die auch nur näherungsweise frisch wäre. Schade.
08.09.2012 (Samstag)
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(Bis hier hin hatte ich in Astana noch geschrieben, konnte aber noch nicht alles hochladen. Bei Stadtaufenthalten mache ich meistens keine Notizen. Da ich erst nach vier Wochen dazu komme, die Sachen nachzuschreiben, wird es nun schon ein bisschen schwierig).
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Um kurz vor acht werde ich durch lautes Klopfen an der Zimmertür geweckt. Da es nicht aufhört, bleibt mir nichts anderes übrig, als an die Tür zu gehen. Gerade, als ich die Tür öffne geht eine Frau mit einem Frühstückstablett zum nächsten Zimmer und klopft nun dort. Super, da hat sie ich in der Tür geirrt. Aber immerhin, dass man auf dem Zimmer frühstücken kann ist nicht schlecht. Gestern war ich im Restaurant des Hotels. Drei kleine einfache Tische mit ein paar Stühlen dabei, in einem kleinen schmucklosen Raum.
Heute lasse ich mir das Frühstück auch auf mein Zimmer bringen. Gestern gab es zwei Spiegeleier mit Weißbrot und einer Kanne Tee. Heute leider Milchbrei anstelle der Spiegeleier. Aber immerhin, das Frühstück ist im Zimmerpreis mit drin.
Eine Stunde lerne ich noch Russisch. Ich würde gerne weiter lernen, aber samstags machen die Banken um 14 Uhr zu. Bis Geschäftsschluss erreiche ich nichts, habe aber ein paar Tipps bekommen, wo ich es am Montag versuchen kann
Foto: Zeitungsverkäufer an einer Kreuzung in Astana:
Nachdem die Banken geschlossen sind, schaue ich mir das Museum des ersten Präsidenten der Republik an. Die Räume, in denen der Präsident früher hier gearbeitet hat sind ausgestellt. Außerdem viele Geschenke, die er bei offiziellen Anlässen von anderen Staatsmännern bekommen hat, sowie weitere Exponate aus der Geschichte Kasachstans.
Fotografieren ist leider nur im Erdgeschoss erlaubt. Dort hängen auch große Spiegel. Zeit für ein Selbstporträt. Ich gucke da wohl etwas ernst, aber ich zeige das Foto trotzdem mal. Ihr seht mich ja sonst nicht so oft .
In der Stadt finde ich in einem Einkaufzentrum endlich ein Cafe mit kostenlosen WiFi. Der Tee ist teuer, und das Internet funktioniert wieder nicht. Mist, ich hatte mir ja auch mal vorgenommen, erst ins Internet zu gehen und dann zu bestellen. Ich kann es mir nicht verkneifen, die Bedienung darauf aufmerksam zu machen, dass ich den Tee nur bestellt habe, weil ich ins Internet wollte. Ich soll einen anderen Anbieter probieren und bekomme das Kennwort dafür. Es geht tatsächlich, aber dann wollen sie dafür doch plötzlich Geld. Blöde Diskussionen, aber sie werben halt mit kostenlosem WiFi. Schade, dass mir immer die Erfahrung fehlt, wie Einheimische damit umgehen. Ich weigre mich jedenfalls die Rechnung zu akzeptieren, weshalb ich mich sofort wieder ausloggen soll. Mache ich dann auch. Am liebsten würde ich gehen, ohne den Tee zu bezahlen, lege das Geld dafür aber auf den Tisch. Im Weggehen fällt mir noch ein, dass hier ja meistens noch 10 % für die Bedienung mit auf der Rechnung stehen, worauf sie jetzt aber leider verzichten müssen.
Abends bleibe ich im Hotel und lese die Dateien, die ich gestern über Astana und Kasachstan heruntergeladen habe.
09.09.2012 (Sonntag)
Ich werde schon wieder vor acht Uhr geweckt. Heute bin ich einfach nicht bereit aufzustehen. Ich rufe nur irgendwann, dass ich noch schlafe. Aber das Gepolter an der Tür nimmt und nimmt kein Ende. Mir bleibt nichts anderes übrig als aufzustehen. Diesmal ist es wegen der Wäsche, die ich zum Waschen abgegeben hatte. Ich ziehe der Frau nur die Wäsche aus der Hand und schließe die Tür wieder. Es ist zu befürchten, dass ich der unfreundlichste Mensch in Kasachstan bin. Aber wer mich nett erleben will muss halt warten bis ich meinen Schönheitsschlaf beendet habe.
Nach dem Aufstehen lerne ich zunächst zwei Stunden russisch. Ich komme ja viel zu selten dazu.
Danach mache ich mich mit dem Fahrrad auf den Weg, um mir den neuen Stadtteil im Süden anzusehen. Alles was dort steht ist erst vor 10-15 Jahren gebaut worden.
Der Weg in den neuen Stadtteil ist nicht frei von Hindernissen :
Witzig, Radfahrer habe ich bisher kaum gesehen, dafür bekomme ich gleich zwei Verbotsschilder auf ein Foto. Schiebt man sein Rad an den Schildern vorbei in einen Park, bekommt man etwas zu sehen, was es sonst in der Stadt nur selten gibt: Fahrradfahrer. Natürlich schieben sie nicht. Es ist auch ausreichend Platz für alle, und die Radfahrer fahren rücksichtsvoll. Keine Raserei, niemand bringt die Spaziergänger in Bedrängnis.
Vor dem Park kommt noch eine Brücke, von der aus ich ein paar Fotos mache:
Auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses gibt es einen kleinen Strand. Es ist wieder sehr warm geworden, und ich bin etwas erstaunt, wie wenige Leute sich hier aufhalten.
Einen Zugang zum Strand zu finden ist nicht so einfach. Ob das der offizielle Eingang ist? :
Blick zurück ans andere Flussufer:
Auf dem großen Parkgelände gibt es sogar einen Zoo, in dem ich aber nicht war:
Auf einem Brückengeländer sitz eine Libelle. Ich hätte gerne noch ein besseres Foto gemacht, aber leider kommt wieder einer von diesen Neugierigen dazu. Er interessiert sich nicht für die Libelle, er will nur sehen was ich fotografiere – und verscheucht dabei das Tier.
Nun wird es langsam mal Zeit wirklich in den neuen Stadtteil zu fahren. Heute Nachmittag oder am Abend wollen sich Alyona und ihr Freund melden. Sie sind an diesem Wochenende auswärts, kommen aber nachmittags zurück. Ich hoffe, ich schaffe meine Stadtrundfahrt noch, bevor wir uns verabreden.
Im Zentrum des Stadtteils steht der Bajterek-Turm, das Wahrzeichen Astanas.
Die einzelnen Gebäude unterscheiden sich sehr voneinander. Viel gelesen habe ich über Kasachstan ja nicht. Es wirkt hier auf mich so, als habe man für jedes der neuen, großen Gebäude, einen anderen Architekten aus einem anderen Kulturkreis beauftragt. Langeweile sollte offensichtlich vermieden werden, und dennoch scheint mir alles sehr symmetrisch zu sein. Das Durchdachte, Geplante, Symmetrische, Perfekte, Künstliche empfinde ich schon nach kurzer Zeit als sehr störend. Offensichtlich wurde nichts dem Zufall überlassen.
Das Bild unten zeigt die Konzernzentrale des größten kasachischen Mineralölunternehmens. Durch den Torbogen sieht man ein Gebäude, welches in Form eines Zeltes gebaut ist. Hinter mir, also nicht auf dem Foto, ist der Bajterek-Turm, das Wahrzeichen Astanas.
Auf der anderen Seite des Torbogens angekommen, mache ich ein Experiment: Die Fußgängerampeln an der Straße vor dem „Zelt“ stehen sich nicht genau gegenüber. Die vordere ist weiter links, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite etwas weiter rechts. Ich stelle mich nun so hin, dass, aus meiner Perspektive, die linke Ampel von der linken Seite des Eingangs vom „Zelt“, genausoweit entfernt steht, wie die rechte Ampel von der rechten Seite. Wenn ich mich dann umdrehe, erwarte ich, dass der weit entfernte Bajterek-Turm genau durch die Mitte des Torbogens zu sehen ist. Als ich also meine, die richtige Position gefunden zu haben, drehe ich mich um … und stehe genau vor einem Laternenpfahl. Schließe ich mein linkes Auge, sehe ich rechts am Pfahl vorbei die rechte Seite des Turms in der Mitte des Torbogens, mit dem linken Auge sehe ich die linke Seite. Tatsächlich steht hier noch nicht einmal ein Laternenpfahl auch nur näherungsweise zufällig da wo er steht. Ich wünschte, irgendwo wäre wenigstens mal ein Kabel zu kurz gewesen, und man hätte eine Laterne irgendwo hingestellt, weil es sich eben gerade so ergeben hätte.
Erst beim Durchsehen meiner Fotos entdecke ich Wochen später einen Hoffnungsschimmer, der sicher nicht im Ingenieurbüro entstanden ist. Risse in einer Mauer, ein Gehweg, der sich etwas absenkt und als Krönung sogenanntes Unkraut:
Im Norden der Stadt gibt es übrigens Vögel. Hier habe ich nur zwei gesehen, die anlässlich einer Hochzeit aus einem kleinen Käfig freigelassen wurden. Im Übrigen ein Brauch, den ich noch nicht kenne. Vielleicht sollte ich öfter heiraten .
Viele Menschen sind hier nicht unterwegs. Unter den wenigen Leuten die sich hier aufhalten sind auch ein paar junge Familien mit Kindern. Daher vergesse ich eine Zeit lang, dass es sich wohl um ein reines Verwaltungs- und Wirtschaftszentrum handelt. Ich frage mich, wo hier Platz für Kinder ist. Irgendwo wird es eine riesige Datei geben, die die ganze Stadt bis zum letzten Stein abbildet. Oder ist es umgekehrt? Ist vielleicht die Datei das Original und die Stadt nur ihre Abbildung? Keine versteckten Ecken, keine Insidertipps. Eine Stadt ohne Geheimnisse.
Für die Kinder bleiben nur die Spielzeugautos, auf denen sie von ihren Eltern per Fernsteuerung durch die Gegend gefahren werden.. Und da komme mir nun keiner mit Modellbau . Die ganze Stadt ist Modellbau, soweit stimme ich zu, aber die Plastikautos sind Spielzeug. Da bestehe ich drauf
. Ein Spielzeug für Erwachsene mit Kindern.
Wo wohl die ganzen Menschen wohnen, die hier arbeiten? Dass alle im Norden der Stadt wohnen halte ich für unwahrscheinlich. Die wenigen Brücken über den Fluss müssten hoffnungslos überlastet sein. Ich nehme an, dass es außerhalb des Zentrums Wohngebiete gibt. Es wird mir aber zu spät, um mich dort noch weiter umzuschauen, und ich habe auch keine Lust mehr. Auf dem Rückweg schicke ich Alyona eine sms und frage nach, ob wir uns noch treffen. Die Antwort kommt etwas später. Sie hatten keinen Empfang, und heute wird es ihnen etwas spät. Wir können morgen oder übermorgen nach der Arbeit noch etwas zusammen unternehmen.
10.09.2012 (Montag)
Es darf nicht wahr sein. Immerhin, diesmal erst um kurz NACH acht, wird wieder nach Kräften vor die Tür gehämmert. Also es wäre beschönigend, das „klopfen“ zu nennen. Die wissen schon, wie sie ihre Gäste wachbekommen. Es wird wieder keine Ruhe gegeben, obwohl ich mindestens fünf Minuten versuche es auszusitzen, oder besser: auszuliegen. Wieder eine Frau mit Frühstückstablett. Ich schließe die Tür direkt wieder. Was soll ich der Frau auch sagen? Ich habe nichts bestellt und weiß auch nicht für wen es ist. 30 Minuten später nochmal dasselbe. Ob irgendjemand irrtümlich notiert hat, ich wolle um acht Uhr Frühstück bekommen? Muss ich später klären. Die Sonne steht noch nicht mal am Zenit. Ich will schlafen.
Um 9:45 Uhr gehe ich dann zu dem Raum, an dem Cafe steht. Am ersten Tag hatte ich dort gefrühstückt, danach habe ich mir das Frühstück auf mein Zimmer bringen lassen. Heute ist abgeschlossen. Da an der Rezeption niemand ist gehe ich in einen kleinen Raum, in dem die Angestellten zusammen sitzen und frage nach dem Frühstück. Die zuständige Mitarbeiterin erklärt mir vorwurfsvoll, sie hätte ja zweimal versucht es mir bringen, da hätte ich es nicht gewollt. Ich frage mich jetzt ernsthaft, ob „Frühstück von 8 bis 10“ hier bedeutet, dass man irgendwann zwischen 8 und 10 sein Frühstück gebracht bekommt. Das hieße 7:30 Uhr aufstehen, und dann – wenn man Pech hat – zweieinhalb Stunden warten.
Die Frau, die ich bisher an der Rezeption gesehen hatte, sagt der Küchenfrau, dass ich noch Frühstück bekommen soll. Sie geht also ein Stockwerk höher, durch den kleinen Speiseraum in die Küche, nimmt das Tablett mit meinem Frühstück von der Arbeitsplatte und bringt es auf mein Zimmer. Ich versuche ihr zu vermitteln, dass ich gerne frische Spiegeleier hätte. Vor langer Zeit hatte ich gelesen, dass es in Kasachstan gelegentlich noch Fälle von Milzbrand gibt, und ich meine im selben Zusammenhang war auch dringend dazu geraten worden, darauf zu achten, dass keine Fliegen auf das Essen gelangen. Fliegen gibt es hier genug.
Nun geht die gute Frau also mit dem Tablett wieder in die Küche, und Übles ahnend gehe ich mit. Wie befürchtet – sie stellt die Spiegeleier in die Mikrowelle. Schlimmer noch: Nach wenigen Sekunden holt sie die wieder heraus und sagt:“Не работает“ („Geht nicht“.) . Die Mikrowelle funktioniert nicht. Sie schiebt sich nochmal an mir vorbei und stellt das ungewünschte Essen wieder in mein Zimmer. Bevor ich mich nachher genauso krümme, wie es die beiden Wurstscheiben jetzt schon tun, lasse ich die Sachen lieber stehen.
Tagsüber schaffe ich es dann ein paar Travellerschecks einzutauschen, ein Vorgang der wieder relativ viel Zeit in Anspruch nimmt. Aber nicht so schlimm wie in Jekaterinburg, wo sie mich in der Bank wecken mussten, als sie mit der Bearbeitung fertig waren .
Unterwegs sehe ich ein Cafe, in dem wohl so ziemlich alles verboten ist. Noch nicht einmal seine Elefanten darf man mit reinnehmen:
Всё запрещено здесь, даже слонам нельзя .
Everything is forbidden here. Even elephants have to keep out.
Abends treffe ich mich mit Alyona. Wir gehen zusammen essen. Es ist ein gutes und dennoch preiswertes Restaurant. Und es ist wirklich schön, mal etwas frisch Zubereitetes zu bekommen. Das hätte ich alleine bestimmt nicht gefunden. Eine Kollegin von Alyona kommt noch dazu. Alyona ist Biologin und beschäftigt sich beruflich mit der Steppe. Ihre Kollegin schlägt noch vor, dass ich mal am Arbeitsplatz vorbeikomme. Es ist sehr schade, diese Chance auszulassen, aber ich möchte morgen mit meiner Internetseite weiterkommen, und dann auch abreisen. Zur Zeit ist es sehr warm. Eine lange Hose habe ich heute Abend nur angezogen, weil ich hier fast nie Leute mit Shorts sehe. Mehr als drei oder vier waren es nicht. Aber wegen den Wenigen erlaube ich es mir auch, wenn ich alleine unterwegs bin.
Das gute Wetter möchte ich auch noch zum Radfahren nutzen und vor dem nächsten Kälteeinbruch weiter nach Süden kommen.
11.09.2012 (Dienstag)
Vor der Abreise möchte ich noch einmal Wäsche waschen lassen und die letzte Wäsche bezahlen. Das Waschen soll jetzt mehr als doppelt so teuer sein, wie zuletzt, obwohl es jetzt weniger Wäsche ist. Als ich deswegen nachfrage, verdoppelt sich auch der Preis für die erste Wäsche. Es geht wieder nicht um riesen Beträge, aber sowas ärgert mich, und ich wasche meine Sachen dann lieber von Hand.
Tagsüber schreibe ich an meiner Seite weiter. Vor Ladenschluss fahre ich dann noch zu einem Radgeschäft. Eine Mitarbeiterin des Geschäfts spricht sehr gut Englisch. Ich brauche nichts, möchte nur in Erfahrung bringen, für welche Marken und Produkte man hier Ersatzteile bekommt.
Anschließend gehe ich in einen Laden, so eine Mischung aus Kneipe und Restaurant, wo ich meine Texte und Fotos hochladen kann. Leider gibt es für die Gäste keinen Platz mit Steckdose. Am einzigen Platz an dem dies möglich ist, sitzen die Angestellten mit ihren Handys und Laptops. Also Hochladen bis der Akku alle ist. Zwischendurch gönne ich mir eine Pizza. „800 Gramm“ steht auf der Speisekarte. Eine Waage habe ich leider nicht dabei, aber ich denke, von 800 Gramm wäre ich satt geworden.
Im Hotel bitte ich an der Rezeption noch darum morgen nicht geweckt zu werden und werde erstaunt gefragt, ob ich denn kein Frühstück wolle.
Beim Packen vor der Abreise morgen fällt mir wieder ein, dass ich ja meine Wäsche von Hand waschen wollte. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn ich ein Waschbecken auf dem Zimmer hätte. Zimmer mit Gemeinschaftsbad auf dem Flur hatte ich schon öfter, aber meistens ist im Zimmer wenigstens ein Waschbecken. Viele Menschen hier haben die Angewohnheit ständig auszuspucken, und ich befürchte, dass sie im Bad auch das Waschbecken dafür nehmen. Äpfel muss ich auch noch waschen. Unterwegs bekommt man ja nicht viel. Bei starkem Wind ist es in der Steppe schwierig sich Butterbrote zu schmieren. Vieles wird schnell matschig oder schlecht. Deswegen habe ich eine größere Menge Äpfel und Kekse gekauft.
Das Waschbecken ist zum Glück relativ sauber, da der Hahn voll aufgedreht ist. Irgendjemand kühlt hier eine Getränkeflasche.
Am späten Abend hat es sich sehr stark abgekühlt und in der Nacht fängt es an zu regnen.
Was das Ausspucken betrifft: Zumindest hier im Hotel spucken viele Leute einfach aus dem Fenster, direkt runter auf den Bürgersteig. Auf demselben Weg entsorgen sie auch ihre Zigarettenkippen, wobei sich wohl keiner die Mühe macht, sie vorher auszudrücken. Einer Frau, die mir mal entgegenkam ist eine Kippe auf den Kopf gefallen, wobei der Glimmstängel zum Glück nicht im Haar hängenblieb und vor ihr auf den Boden viel. Sie schien das auch nicht so ganz normal zu finden, aber es kommt halt vor.
Ganz witzig war im Hotel noch die Sache mit der Teekanne. Ich wollte beim Schreiben und Russisch lernen gerne Tee trinken und hatte gefragt, ob ich eine Teekanne bekommen kann, auf Russisch „Tschainik“. Sie waren dazu gerne bereit und haben mir einen Wasserkocher in die Hand gedrückt. Nicht schlecht, konnte ich auch gut gebrauchen. Nur mit der Teekanne wurde es schwierig. Der gute Mann hat zu meiner Verwunderung nicht verstanden, was ich brauchte. Tasse, Löffel, Zucker, ich bekam alles, nur die Teekanne nicht. Auch, ob ich Tee brauche hat er gefragt, wobei ich nicht weiß, ob ich den (kostenlos) bekommen hätte. Am ersten Tag, als ich noch in dem kleinen Raum gefrühstückt hatte, lag dort sogar eine kleine Speisekarte, auf der „Tschainik“ stand. Aber er war fest davon überzeugt, dass dieses Wort einen Wasserkocher bezeichnet. Also bin ich nochmal hoch auf mein Zimmer und habe mein kleines Wörterbuch geholt. „Wasserkocher“ steht nicht drin, und „Teekanne“ wird mit „Tschainik“ übersetzt. Es hat lange gedauert, aber am Ende haben wir es dann geschafft. Ich habe mich übrigens nicht getraut, ihm zu sagen, dass ich mir mehrere Tassen Tee kochen möchte. Hilfsbereit wie er offensichtlich war, hätte er mir bestimmt ein paar Tassen gegeben .
Wenn man von ein paar Sachen, wie der Preisfindung für das Wäschewaschen und so weiter absieht, war es insgesamt nicht die schlechteste Unterkunft.
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So, bis hier hin konnte ich am 11.10.2012 endlich mal wieder was hochladen. Leider nicht ganz aktuell. Ich bin ja schon in Schymkent, kurz vor Usbekistan. Der ganze Weg von Astana bis in den Süden Kasachstans fehlt noch. Morgen fahre ich nach Usbekistan weiter. Bis Taschkent sind es ca. 130 km. Also 1 bis 3 Tage, je nach Wind und Straße. Die Straße soll sehr schlecht sein, habe ich gehört. Aber die Auskünfte sind ja auch nicht immer so zuverlässig. Ich lasse mich mal überraschen. Eigentlich wollte ich mindestens bleiben, bis ich mit dieser Seite wieder auf einem aktuellen Stand bin. Aber Schymkent gefällt mir nicht. Und außerdem bin ich gestern in eine Kontrolle geraten, in der meine angeblich fehlende Registrierung bemängelt wurde. In Astana hieß es ja, ich bräuchte das für die Dauer des Aufenthalts in Kasachstan nicht mehr. Aber hier sieht man das anders. Die Kontrolle war direkt vorm Hotel, und ich habe wenig Lust dieselben Leute nochmal zu sehen. Also wird es Zeit für die Weiterreise.
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Bis demnächst,
Martin
Lieber Martin,
freut mich dass Du gut in Kazachstan angekommen bist. Irgendwann muessen wir mal telephonieren – naechstes Jahr kann ich dann hoffentlich die Strecke nachfahren und von deiner Piornierarbeit profitieren. ich hoffe Du kommst vor dem Winter noch gut durch Kazachstan und weiter nach Uzbekistan. Planst Du eigentlich in Tschadikistan auch den Pamir Highway zu fahrenb, der wuerde mich schon lange einmal interessieren.
Viele Gruesse aus der Heimat, leo